Eine glückliche Ehe
wandte das Gesicht wieder dem Grab zu.
»Mama, die Gäste …«
»Bitte, Peter! Vertritt du mich. Und du, Spätzchen, hilf ihm. Ihr könnt das gut, ich weiß es. Ich – ich möchte jetzt allein sein. Ich kann keinen mehr sehen. Versteht ihr das?«
»In einer Stunde ist alles vorbei, Mama.«
»Diese Stunde ist mir zuviel. Bitte!«
Peter nickte seiner Schwester zu. Sie faßten ihre Mutter wieder unter und zogen sie sanft vom Grab weg. Hinter einem großen Stein warteten zwei Totengräber, städtische Angestellte, unterer Dienst, auf die Freigabe des Grabes. Sie stützten sich auf ihre Spaten, rauchten in der hohlen Hand – wegen des Regens – Zigaretten aus schwarzem Tabak und wünschten sich, daß die Witwe endlich wegginge und das Warten in der Nässe aufhörte. Am Eingang des Friedhofs heulten die Autos auf, quietschten Reifen über den nassen Asphalt, schlugen Türen, flatterte ein Stimmengewirr in die Stille jenseits des Tores, sogar ein paar Lacher waren darunter, weil Rechtsanwalt Dr. Schwangler einen Witz erzählte von einem Scheintoten, der nach seiner Erweckung noch vier Kinder gezeugt hatte …
Der Pfarrer wartete unter einem großen schwarzen Schirm. Neben ihm stand der Orgelspieler, der in der Kapelle einen Satz aus einem Concerto grosso von Händel gespielt hatte, ein letzter Wunsch des Toten. Direkt am breiten Torausgang stand in einem Trauermodellkleid aus schwarzem Breitschwanz mit schwarzem Nerzbesatz Elena Preiß, seit drei Jahren Witwe des Fabrikanten Johann Preiß und beste Freundin des Hauses Wegener. Eine so gute Freundin, daß sie sich leisten konnte zu sagen: »Hellmuth hat die falsche Frau geheiratet. Irmgard ist immer eine Apothekerstochter geblieben. Ein Adler braucht eine Adlerin, aber keinen Finken …«
»Müssen wir da durch, Peter?« fragte Irmgard Wegener und blieb stehen.
»Nicht unbedingt, Mama. Es gibt auch noch einen Seitenausgang.«
»Gehen wir den!«
»Es wäre unhöflich, Mama.« Peter drückte den Arm seiner Mutter fester. »Der Pfarrer und der Organist wollen sich verabschieden.«
»Sie sind nicht zu dem … Totenessen geladen?«
»Nein. Du weißt doch, daß nur ein bestimmter Kreis …«
Sie blickte hinüber zu Elena Preiß, die auf sie wartete wie ein Geier auf das Aas. Ihre rotgefärbten Haare wallten lang über die Schultern und den Nerzkragen. Sie trug das Modellkleid sehr kurz, um ihre noch immer schlanken, langen Beine zu zeigen. Dabei ist sie drei Jahre älter als ich, dachte Irmgard Wegener. Aber sie war ihrem Mann nicht einen Monat treu. Ich habe nie eine Liebschaft gehabt, nie einen intimen Freund, ich war Hellmuth die treueste Frau von jener Stunde an, als ich ja sagte und seinen Namen annahm.
»Ich will weg!« sagte sie hart. Peter zuckte zusammen und starrte sie an. »Weg von den Menschen! Durch den Seitenausgang. Ich will keinen mehr sehen und keinen mehr hören!«
Peter Wegener schwieg. Er warf einen Blick hinüber zu seiner Schwester, und sie verstanden sich. Die Nerven! Jetzt kommt der Zusammenbruch, jetzt, wo alles vorbei ist, fällt sie zusammen. Sie hat sich tapfer gehalten, die Mama, wie ein Denkmal stand sie da. Am offenen Sarg während der Aufbahrung in der Halle der Villa Fedeltà, und jetzt am Grab. Fedeltà heißt Treue. Man hat bis zuletzt gerätselt, warum Hellmuth Wegener seinem Haus diesen italienischen Namen gegeben hatte. Fedeltà. Treue. Auch die Kinder wußten es nicht – nur sie, Irmgard Wegener, geborene Lohmann, Apothekerstochter aus Köln-Lindenthal.
Sie führten sie weg, bogen ab zum Seitenausgang; der Pfarrer, der Organist, die Trauergäste blickten ihr betroffen nach. Elena Preiß hob, maliziös lächelnd, die Schultern, schürzte die zyklamengeschminkten Lippen und trippelte auf die Straße, wo ihr Chauffeur die Tür des Wagens öffnete und seine Mütze zog. Er stammte aus Korsika, sah blendend aus, und man munkelte, daß sich seine Aufgabe nicht nur im wienern lackierter Autobleche erschöpfe.
Der Wagen der Wegeners fuhr zum Seitenausgang, Irmgard Wegener stieg schnell ein und gab ihrem Sohn und ihrer Tochter die Hand. »Ich danke euch«, sagte sie und versuchte sogar zu lächeln. »Bringt dieses … dieses Totenessen mit Anstand hinter euch. Kümmert euch nicht um mich. Ich bin froh, daß ich jetzt allein sein kann.«
Sie zog die Tür zu, der Chauffeur trat auf das Gaspedal, und der Wagen fuhr schnell davon, die vom Nebel verhangene Allee hinunter, von deren Bäumen die Nässe tropfte.
Das Herrenzimmer –
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