Eine große Zeit
neben seinem großen Safe stand.
»Meine Güte. Dieses Mädchen ist ja jünger als Ihre Töchter«, sagte Lysander tonlos.
»Darauf bin ich nicht stolz«, erwiderte Vandenbrook mit einer Spur seiner alten Arroganz. »Aber ich kann nicht anders. Ich bekenne mich voll und ganz schuldig.« Auf dem Schreibtisch stand eine Zigarettendose, er nahm sich eine und zündete sie an.
»Waren Sie schon mal im Nordosten unserer schönen Stadt?«, fragte Vandenbrook. »In der Gegend von Bow und Shoreditch? Dort können Sie für ein bisschen Kleingeld alles bekommen, was Ihr Herz begehrt. Kleine Jungen und kleine Mädchen, Zwerge und Riesen, Missgeburten, Tiere. Was Sie sich nur vorstellen können.«
»Erzählen Sie mir von der Erpressung.«
»Ich besuchte die Kleine – mit dem Einverständnis ihrer Mutter – rund einmal im Monat«, erzählte Vandenbrook. »Mit der Zeit habe ich sie liebgewonnen. Sie hat sich nicht gegen die Dinge gesträubt, die ich von ihr … « Er hielt kurz inne. »Jedenfalls schenkte ich ihr als Zeichen meiner Zuneigung eine Perlenkette. Das war ein Fehler. Im Kästchen stand der Name des Juweliers, und so konnte man mich zurückverfolgen. Ihre Mutter, eine gemeine, heimtückische Person, hat auf diese Weise herausgefunden, wer ich bin. Dann hat sie die Aussage ihrer Tochter schriftlich festgehalten.« Erschöpft setzte er sich auf den Schreibtischrand. »Vor etwa einem Jahr, Ende1914 , traf dieser Umschlag mit detaillierten Anweisungen ein. Ich sollte sämtliche Informationen weiterleiten, von denen ich in der Abteilung Kenntnis bekam – über die Verschickung von Ausrüstung und Munition, den Nebenstreckenausbau und so weiter und so fort. Andernfalls würden dem Kriegsminister, meinem befehlshabenden Offizier, meiner Gattin und meinem Schwiegervater Foto und Zeugenaussage des Mädchens zugespielt.« Er deutete ein Lächeln an. »Vermutlich wissen Sie, wer mein Schwiegervater ist.«
»In der Tat.«
»Dann ahnen Sie auch, was das auslösen würde. Also habe ich alles notiert, was ich in Erfahrung bringen konnte, und regelmäßig einen Umschlag, der von einer mir unbekannten Person abgeholt werden sollte, wie angewiesen in einem Hotel hinterlassen.«
»Ein bestimmtes Hotel?«
»Verschiedene Hotels an der Südküste. Bestimmt haben Sie schon jedes einzelne aufgesucht.«
Lysander musterte das ausdruckslose Gesicht der Kleinen und las die ersten Zeilen ihrer Zeugenaussage. »Der Hautmann wolte immer, das ich mich auf seinen Schos setze … er hat miech ausgezogen und dann hater gesagt, ich sol die Beine gans weit aufmachen … danach hater er miech mit Lappn und Warmwasser gewaschen und gesagt, ich sol … «
Vandenbrook sah Lysander mit stumpfen Augen an, während er die Seite überflog. Sein schneidiger blonder Schnurrbart mit den gezwirbelten Enden wirkte nun wie eine schäbige Requisite. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst.
»Haben Sie nicht versucht, die Frau und ihre Tochter wiederzufinden?«
»Selbstverständlich. Ich habe sogar einen Privatdetektiv engagiert. Aber sie waren längst aus ihrer bisherigen Bleibe verschwunden. Die Mutter hat das belastende Material offensichtlich an einen Dritten verkauft. Der es inzwischen vielleicht weiterverkauft hat. Viele Männer werden auf diese Weise unter Druck gesetzt. Sie wissen ja gar nicht, wie sehr dieser Erpressermarkt blüht, das Material wandert von einer Hand zur nächsten –«
»Viele Männer?«
»Jeder Mensch ist zu einem Verbrechen fähig«, erklärte Vandenbrook. »Vorausgesetzt, er hat die Gelegenheit und die Mittel.«
»Das ist bloß die billige Ausrede eines perversen Mannes«, entgegnete Lysander kühl. »Und sie ist so alt wie die Welt.«
»Damit will ich mein Verhalten beileibe nicht rechtfertigen, Rief. Ich hasse mich dafür, ich verabscheue meine … meine sexuellen Neigungen … «, sagte Vandenbrook, und es klang aufrichtig. »Ersparen Sie mir also Ihre moralische Entrüstung.«
»Fahren Sie mit Ihrer Geschichte fort.«
»Sobald ich wieder einen Abzug dieses Fotos und eine Kopie der Zeugenaussage erhielt, bedeutete das jedes Mal, dass ich weitere Informationen beschaffen sollte. Mir wurde dabei auch mitgeteilt, in welchem Hotel sie zu hinterlegen war. Die letzte Aufforderung habe ich vor zwei Wochen bekommen. Da wurde das Dene Hotel in Hythe angegeben. Und dort haben Sie diesen Umschlag abgefangen.«
»Wie gehen Sie bei der Verschlüsselung vor?«
»Was meinen Sie damit?«
»Ihre früheren Briefe waren alle
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