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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Abteilung im Kriegsministerium. Wir haben nur versucht, den Verräter ausfindig zu machen. Er richtet verheerende Schäden an.«
    »Nun hast du ihn ja gefunden, nicht wahr?«
    »Offenbar leitet Vandenbrook die Informationen nur weiter, weil er erpresst wird. Behauptet er jedenfalls.«
    »Weswegen erpresst?«
    »Wegen einer sehr … unangenehmen Sache. Zutiefst beschämend.« Lysander wusste nicht, wie viel er ihr verraten sollte. »Falls jemals herauskommt, was er getan hat, wäre das in jeder Hinsicht sein Ruin – seine Ehe, seine Karriere, seine Familie, alles wäre zerstört. Man würde ihn ins Gefängnis sperren.«
    »Du liebe Güte.« Lysander begriff, dass eine vage Antwort zuweilen schlimmere Vorstellungen weckt als die nackte Wahrheit. Seine Mutter sah ihn an. »Und wer ist nun sein Erpresser?«
    »Das ist ja das Problem – alles deutet auf dich hin.«

12. Autobiographische Untersuchungen
    Vielleicht war ich zu grob, zu direkt. Sie schien auf einmal völlig erschüttert zu sein – und ihre Skepsis verloren zu haben – , als würde die grausame, aber zwingende Logik dieses abgekarteten Spiels ihr plötzlich genauso einleuchten wie mir. Ich machte ihr einen zweiten Drink und bat sie, die Chronologie der Ereignisse noch einmal mit mir durchzugehen. Ihr erstes Treffen mit Vandenbrook hatte im September 1914 im Kriegsministerium stattgefunden, und sobald der Kriegshilfefonds von Claverleigh Hall nennenswerte Summen erzielte, gab es regelmäßig Kontakt. Anfang 1915 war der Hauptmann das erste Mal nach Claverleigh gekommen, kurz nach seiner Versetzung in die Verschickungsabteilung.
    »Warum hat er die Tätigkeit für den Fonds nicht abgegeben? Das Arbeitsaufkommen in dieser Abteilung ist enorm.«
    »Er hat von sich aus gefragt, ob er weitermachen dürfe«, sagte sie. »Offenbar hat ihn unser Einsatz sehr beeindruckt, und er hatte Sorge, dass eine Übergabe vielleicht nicht reibungslos verlaufen würde. Ich habe nicht lange gezögert und ja gesagt. Ich war froh – wir sind immer wunderbar miteinander ausgekommen, und er hat viel für den Fonds bewirkt. Tatsächlich hatte ich angeregt, dass wir uns treffen, wenn er ohnehin in Folkestone zu tun hat – um ihn ein wenig zu entlasten. Das erste Hotel, in dem ich abgestiegen bin, war in Sandwich. Ich hatte ihm angeboten, mit dem Auto hinzufahren.«
    »Habt ihr euch auch in London getroffen?«
    »Ja. Vielleicht sechs Mal, immer wenn ich in der Stadt war.« Sie hielt kurz inne. »Ich kann nicht leugnen, dass ich diese Treffen genossen habe … Crickmay ging es schon sehr schlecht, und für mich waren diese Abende eine Art Lichtblick. Schließlich ist Hauptmann Vandenbrook ein attraktiver, geistreicher Mann. Und ich glaube, wir hatten beide Freude daran, ein bisschen zu flirten. Ein ganz kleiner Flirt. Mehr war da nicht. Auch nicht, nachdem Crickmay gestorben war.«
    »Ich kann das sehr gut verstehen«, sagte ich. »Ich glaube dir. Ich versuche nur, das Ganze aus seiner Perspektive zu sehen.«
    »Das Problem ist natürlich, dass ich Österreicherin bin«, sagte sie tonlos, fast missmutig. »Das ist mir gerade erst klargeworden. Deswegen werden sie mich verdächtigen. Und zwar auf Anhieb.« Man konnte sehen, wie sehr sie dieser Gedanke bedrückte, sie schien in sich zusammenzusinken. »Sobald sie eins und eins zusammenzählen … er … und die Österreicherin.«
    »Vergiss nicht, dass auch ich halb Österreicher bin«, sagte ich beunruhigt. »Das kommt mir alles zu glatt, zu konstruiert vor … «
    »Was willst du jetzt tun?«
    »Noch nichts. Ich muss erst ein bisschen weitergraben.«
    »Und was ist mit mir?«
    »Tu einfach so, als ob nichts vorgefallen wäre.«
    Sie stand auf, aufs Neue besorgt. So aufgewühlt hatte ich sie noch nie erlebt.
    »Hast du schon irgendwem von Vandenbrook und deinen jüngsten Erkenntnissen erzählt?«
    »Nein. Noch nicht. Ich will nicht, dass die anderen mir dazwischenfunken. Und ich muss mir sehr gut überlegen, was ich ihnen sagen werde.«
    Wieder trat sie ans Fenster – inzwischen war es ziemlich dunkel geworden, und ich hörte den Regen gleichmäßig gegen die Scheiben schlagen.
    »Du bringst dich doch selbst in Schwierigkeiten, wenn du niemandem Bescheid sagst. Oder etwa nicht?«, fragte sie, nun ruhig und gefasst.
    »Die Sache ist äußerst verzwickt. Und ich möchte dich nicht in diesen Schlamassel hineinziehen«, antwortete ich. »Darum brauche ich noch etwas Zeit.«
    Sie drehte sich um und breitete die Arme aus, und so ging ich

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