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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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verschlüsselt. Dieser hier nicht.«
    »Verschlüsselt? Ich schreibe doch nur die Fakten und Zahlen auf und hinterlasse sie im Hotel.«
    Diese Antwort löste bei Lysander ganz neue Befürchtungen aus. Er sah den Hauptmann forschend an. Intuitiv wusste er, dass Vandenbrook nicht gelogen hatte, aber dann rief er sich selbst zur Ordnung: Bei diesem Mann war alles Lüge, sie bestimmte dessen ganzes Leben. Demnach musste Lysander alle Möglichkeiten in Betracht ziehen – falls Vandenbrook die Daten tatsächlich nicht selbst verschlüsselt hatte, wer war es dann? Oder vorausgesetzt Vandenbrook log: Warum war der letzte Brief nicht verschlüsselt? Es musste noch eine andere Andromeda geben – oder Vandenbrook trieb wieder ein neues Spielchen mit ihm. Lysander konnte allmählich keinen klaren Gedanken mehr fassen.
    »Was soll ich tun, Rief?«
    »Gar nichts – gehen Sie weiter zur Arbeit, verhalten Sie sich wie gewohnt.« Lysander dachte fieberhaft nach – so hätte er etwas Zeit gewonnen. Er brauchte definitiv mehr Zeit, so rasch, wie die Dinge sich verkomplizierten.
    »Was habe ich zu befürchten?«, fragte Vandenbrook.
    »Wenn es gerecht zugeht, sollten Sie als Verräter gehängt werden. Aber vielleicht können Sie Ihre Haut noch retten.«
    »Dafür würde ich alles tun«, sagte er wild entschlossen. »Ich bin ein Opfer, Rief. Ich wollte das nicht tun, aber die Vorstellung, dass mein … meine kleine Sünde öffentlich bekannt wird … Das hätte ich nicht ertragen, verstehen Sie? Die Schande, die Schmach. Sie müssen mir helfen. Sie müssen unbedingt herausfinden, wer mir das antut.«
    Lysander faltete die Zeugenaussage, nahm das Foto und steckte beides in die Jackentasche.
    »Das können Sie nicht machen«, rief Vandenbrook empört.
    »In Ihrem Fall kann ich alles Mögliche machen, das ist Ihnen doch wohl klar.«
    »Sicher. Schon gut.«
    »Gehen Sie arbeiten. Verhalten Sie sich so wie sonst auch. Ich melde mich, wenn ich noch Fragen habe.«

11. Das Gefühl, nichts hätte sich verändert
    Lysander kam es seltsam vor, wieder im grünen Salon zu sein. Er wanderte umher, strich mit den Fingern über die polierten Tischflächen, hob ein Notenblatt auf und legte es auf die Fensterbank. Wieder hatte er das Gefühl, nichts hätte sich verändert, und kostete es eine Weile aus. Er war noch nicht erwachsen, ein neues Jahrhundert hatte begonnen, sie waren gerade erst nach Claverleigh gezogen, und in wenigen Minuten würde seine Mutter hereinkommen, ihr hübsches früheres, jüngeres Selbst, in der Zeit eingefroren. Lysander wusste jedoch, dass die Welt sich weiterdrehte, schneller denn je. In dieser modernen Welt schritt die Zeit unerbittlich voran, galoppierte wie ein reinrassiges Rennpferd immer weiter, ungeachtet des Krieges – der Krieg war nur eine Folge dieser Beschleunigung – , und dadurch veränderte sich alles, nicht nur die Umwelt, sondern auch das menschliche Bewusstsein. Das Alte verschwand, verschwand rasch, so dass etwas anderes, etwas Neues unweigerlich seinen Platz einnahm. Das durfte er nie außer Acht lassen, egal, wie sehr ihn das verstörte, egal, wie sehr er sich dagegen sträuben mochte. Vielleicht sollte er Bensimon ins Vertrauen ziehen, ihm erzählen, wie sehr ihn diese Umwälzungen beschäftigten und wie stark er sich dagegen wehrte, und sich anhören, was sein Arzt dazu zu sagen hatte.
    Seine Mutter rauschte zur Tür herein und küsste ihn drei Mal auf jede Wange, wie man es auf dem Kontinent zu tun pflegte. Sie trug ein pistaziengrünes Teekleid und eine neue Frisur, ihre Haare waren im Nacken zu einem losen Dutt zusammengesteckt, was duftiger, weniger streng wirkte.
    »Deine Frisur gefällt mir«, sagte er.
    »Mir gefällt, dass dir solche Dinge überhaupt auffallen, mein lieber Sohn.«
    Sie betätigte die Klingel.
    »Ich brauche Tee«, sagte sie. »Starken Tee. Englischen Kraftstoff.«
    Plötzlich erkannte Lysander, was seine Mutter für einen Mann so unwiderstehlich anziehend machte – dass sie zugleich schön, natürlich und selbstbewusst war und dabei sprühend vor Lebensfreude. Kein Wunder, dass Christian Vandenbrook sich hatte umgarnen lassen.
    Als der Tee serviert wurde, setzten sie sich hin. Seine Mutter musterte ihn über die Tasse hinweg. Aus ihren großen Augen sprach eine gewisse Wachsamkeit.
    »Dich habe ich ja seit Ewigkeiten nicht gesehen«, sagte sie. »Wie geht es dir? Bist du völlig genesen? Die Uniform steht dir wirklich gut.« Sie deutete auf seine Beine. »Aber was ist

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