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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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bloß Beweise zusammengetragen, nach dem Motiv habe ich nicht gesucht.«
    »Wir können ihn ja selbst fragen, wenn wir ihn verhaften«, sagte Munro mit einem dünnen Lächeln. »Morgen früh – oder sogar heute Nacht.«
    Sie schwiegen eine Weile, während sie sich die Situation vor Augen führten.
    »Keogh ist also Andromeda«, sprach Massinger vor sich hin.
    »Gute Arbeit, Rief«, sagte Munro. »Es hat zwar gedauert, aber Sie haben es schließlich geschafft. Ich melde mich. Vorerst gehen Sie weiterhin Ihrer Tätigkeit in der Abteilung nach.«
    »Ja, Waidmanns Heil, Rief«, stimmte Fyfe-Miller nun mit einem breiten Grinsen ein. »Wir haben uns schon immer gedacht, dass Sie den Mann aufspüren würden. Bravo.«
    Das Theaterklingeln kündigte den zweiten Teil der Abendvorstellung an. Erst, als das Publikum in den Saal zurückströmte, bemerkte Lysander die stark geschminkten Frauen am Rand.
    »Ich verabschiede mich schon mal, meine Herren«, sagte er. »Die Vorstellung ruft. Am besten gehen Sie einzeln hinaus.« Erleichtert, weit und breit keine Spur von Vandenbrook zu entdecken, ging Lysander wieder Richtung Saal.
    »N’Abend, mein Lord«, sprach ihn eine Dirne lächelnd an. »Nach’er schon was vor?«
    Er sah sich um. Massinger ging gerade, Munro und Fyfe-Miller steckten eifrig die Köpfe zusammen. Höchstens vierundzwanzig Stunden, dachte Lysander, zufrieden mit dem bisherigen Ablauf – bis der Knoten endlich platzt.
    Vandenbrook hatte bereits wieder Platz genommen. Rauchend wartete er darauf, dass der Vorhang aufging.
    Lysander reichte ihm einen Krug Helles. Für sich hatte er auch einen dabei.
    »Gute Arbeit. Mögen Sie dieses Bier? In Wien bin ich recht schnell auf den Geschmack gekommen.«
    »Danke.« Vandenbrook klang ein wenig gedämpft, als er an der Schaumkrone nippte.
    »Und?«
    »Ich habe keinen wiedererkannt. Bis auf den älteren mit dem fallenden Revers. Er kam mir vage vertraut vor.«
    »Massinger?«
    »Ich meine, ich hätte ihn schon mal gesehen. Als ich noch beim Kriegsministerium war. Ein Offizier?«
    »Ja. Das heißt, er könnte von jeher gewusst haben, wer Sie sind.«
    »Vielleicht. Er kam mir jedenfalls bekannt vor.«
    Als Beweis taugte das nicht, dachte Lysander. Im Orchestergraben wurde ein Marsch intoniert, und hinter dem Vorhang kam eine Truppe Revuetänzerinnen in khakigrünen Korsetts zum Vorschein, die Holzgewehre schulterten. Die Zuschauer jauchzten, jubelten und pfiffen anerkennend. Deswegen waren sie hier – und nicht wegen Mr Trelawny Melhuish mit seinen Monologen.
    »Also käme Massinger als Andromeda in Frage«, sagte Lysander.
    »Andromeda?«
    »Der Deckname, mit dem wir Sie bedacht haben. Als wir mit der Suche anfingen.«
    »Ach so.« Vandenbrook schien daran keinen großen Gefallen zu finden. »Warum Andromeda?«
    »Tatsächlich war das meine Idee. Von einer deutschen Oper inspiriert. Andromeda und Perseus von Gottlieb Toller.«
    »Ah. Ist sie nicht ein bisschen anrüchig?«
    »Ich habe sie nie gesehen«, antwortete Lysander, dem plötzlich eine langbeinige Tänzerin ins Auge stach. Sie erinnerte ihn an Blanche, und so steckte er ein Sixpence in den Schlitz der Opernglashalterung vor ihm, um sie genauer zu betrachten. Wenn er schon mal hier war, konnte er sich auch ein bisschen Spaß gönnen.

18. Kein Heureka-Erlebnis
    Wenn Lysander nicht schlafen konnte, ging er manchmal zwischen drei und vier Uhr morgens in seine Küche und bereitete sich eine Chloralhydratlösung zu. Bensimons »Somnifer« zeigte keinerlei Wirkung, so dass Lysander es allmählich für ein reines Placebo hielt. Er tat einen halben Teelöffel des kristallinen Pulvers in ein Glas Wasser, rührte es kräftig um und trank es in einem Zug aus. Dabei stellte er fest, dass die Packung fast leer war – sein Verbrauch war enorm. Kein gutes Zeichen.
    Während er darauf wartete, dass die vertraute Wirkung einsetzte, ließ er den Verlauf seiner so sorgfältig inszenierten Begegnung im New-London-Varietétheater noch einmal Revue passieren. Im Grunde war er enttäuscht – es hatte kein Heureka-Erlebnis gegeben, keine schlagartige Erkenntnis. Zugleich hatte er das Gefühl, einen entscheidenden Hinweis übergangen zu haben, eine beiläufige, aber erhellende Bemerkung, die ihm nicht einfallen wollte. Noch nicht. Vielleicht würde er sich wieder daran erinnern. Er war mehr und mehr der Überzeugung, dass Wien den Schlüssel bereithielt – diese letzten Monate vor Kriegsausbruch … Das Chloral begann zu wirken – der

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