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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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nächsten Tag nach Winchelsea laufen und dem Major einen Besuch abstatten. Von Claverleigh aus waren das gut zwanzig Meilen über Feldwege – eine Tagestour – , doch angesichts seiner momentanen Verfassung gäbe es für ihn nichts Besseres. Er würde dem Major ein Telegramm schicken, um ihn vorzuwarnen.
    Lysander entnahm seinem Koffer zwei Dutzend sorgsam verpackte Kiebitzeier und überreichte sie Marlowe.
    »Wo finde ich meine Mutter?«, fragte er.
    »Lady Faulkner befindet sich gerade im kleinen umfriedeten Garten, Sir.«
    Lysander drückte die Tür in der hohen Ziegelmauer auf, die zum kleineren der umfriedeten Gärten führte, und fand seine Mutter beim schwungvollen Auspflücken welker Dahlienblüten vor. Über ihrem Kleid trug sie einen weiten hellgrünen Staubmantel aus leichtem Segeltuch und auf dem Kopf einen breiten Strohhut, den sie mit einem Seidenschal festgebunden hatte. Als er sie auf die Wange küsste, roch er ihr Parfum, Veilchen und Lavendel, ein gespenstischer Hauch seines Vaters, der nach wie vor an ihr haftete.
    Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu einer hölzernen Gartenbank, die im rechten Winkel zur Mauerecke stand. Als er sich gesetzt hatte, blickte sie ihn forschend an. Sie hatten sich schon einige Wochen nicht mehr gesehen, und Lysander kam sie sehr entspannt vor, passend zum lässigen Stil ihrer Gärtnerinnenkleidung, mit losen, teils schon ergrauten Haarsträhnen, die im Wind wehten. Nachher, beim Abendessen, würde sie ein ganz anderes Bild abgeben, wie er wusste, mit viel Puder und rot geschminkten Lippen, von majestätischer Schönheit, die Haare zu einem Zwiebeldutt aufgesteckt, in einem eng taillierten Kleid mit breiter Schärpe, das ihre immer noch jugendliche Sanduhr-Figur zur Geltung brachte. Abends trug sie stets einen tiefen Ausschnitt, der die üppige Wölbung ihrer Brüste unter hauchdünnem Stoff durchschimmern ließ. Bei solchen Anlässen musste Lysander daran denken, dass sie früher auf der Bühne gestanden hatte und die Verwandlung in eine glamouröse Nachtgestalt für sie inzwischen die einzige Gelegenheit war, eine Rolle zu spielen, Aufmerksamkeit zu wecken und verstohlen-begehrliche Blicke auf sich zu ziehen.
    »Du siehst erschöpft aus, mein Schatz«, sagte sie und strich ihm mit dem Fingerknöchel über die Wange. »Bestimmt arbeitest du zu viel. An welchem Stück eigentlich?«
    »An zwei Stücken, das ist das Problem. Maß für Maß und ein schwedisches Drama namens Fräulein Julie .«
    »Ist das nicht herrlich unmoralisch?«
    »Ich habe es noch nicht gelesen. Aber ich habe es dabei.«
    »Ich weiß noch, wie es war, als dein Vater Ibsen aufführte. Hedda Gabler . Das Publikum war völlig verstört. Was haben diese Skandinavier nur an sich?«
    »Vermutlich geht es darum, echte Reaktionen auszulösen. Es verspricht durchaus interessant zu werden.« Er hielt inne. »Mutter … Ich habe ziemlich bedeutsame Neuigkeiten.«
    Lysander hatte seiner Mutter nicht das Geringste über die Gründe und Umstände seiner Abreise aus Wien verraten – sie dachte, er habe seinen Aufenthalt plangemäß beendet. Er hatte nur etwas von einem Techtelmechtel – einem Flirt – angedeutet, außerdem wusste sie, dass er nicht mehr mit Blanche verlobt war. Das tat ihr leid, denn sie mochte Blanche sehr gern.
    »Ich habe dir doch erzählt, dass ich mich in Wien mit einer jungen Frau eingelassen habe.«
    »Mit dieser Engländerin, dieser Miss Bull. Wie sollte ich einen solchen Namen je vergessen? Ihretwegen war Blanche so wütend. Und ich stehe übrigens voll und ganz auf Blanches Seite.«
    »Verstehe. Tja, Miss Bull hat mir geschrieben. Sie hat ein Kind bekommen.«
    Seine Mutter musterte ihn, riss die Augen erst auf und verengte sie dann.
    »Das will sie dir hoffentlich nicht unterjubeln.«
    »Es ist von mir. Daran besteht kein Zweifel. Ein Junge namens Lothar. Dein erstes Enkelkind.«
    Seine Mutter stand auf, zog ein Taschentuch aus dem Ärmel und ging ein paar Schritte weit weg. Sie tupfte sich die Augen auf recht theatralische Weise ab, wie ihm schien.
    »Als Kind hatte ich einen Spielkameraden, der Lothar hieß«, sprach sie über die Schulter. »Lothar Hinz.« Als sie sich wieder gefasst hatte, kehrte sie zur Bank zurück, setzte sich und ergriff seine beiden Hände. »Lass uns ganz offen reden, mein Schatz, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Du weißt, als Frau eines Schauspielers bin ich äußerst aufgeschlossen. Was birgt dieses so überaus freudige Ereignis für

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