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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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ist doch keine Vergnügungsreise.
    »Danke, sehr gern.«
    Ihre Antwort löste bei ihm eine fast jungenhafte Freude aus.
    »Großartig. Wo möchten Sie hingehen?«
    »In Nähe des Place Neuve gibt es ein Restaurant mit einer sehr schönen Terrasse, die nur im Sommer geöffnet ist. Die Brasserie des Bastions. Wollen wir uns um halb acht dort treffen?«
    »Wunderbar. Dann sehen wir uns heute Abend.«
    Am Nachmittag ging Lysander zur Bank und hob 25000 Franc in 500er-Scheinen ab – etwa 1000 Pfund. Man hatte ihm zwar 1000er-Scheine angeboten, aber er dachte sich, je dicker das Geldbündel, mit dem er wedeln konnte, desto erfolgreicher der Bestechungsversuch. Er fragte sich, worauf Massinger seine Überzeugung gründete, dass Glockner käuflich war – vielleicht nur auf der plumpen Prämisse, dass Botschaftsmitarbeiter nicht eben üppig entlohnt wurden. Glockner war ihm aber keineswegs bedürftig oder abgearbeitet vorgekommen, sondern frisch und wie aus dem Ei gepellt – er trug weder Zelluloidmanschetten noch eine pflegeleichte Hemdbrust aus Pappe. Auf den ersten Blick gab es jedenfalls keinen Anhaltspunkt für seine potentiellle Bestechlichkeit.
    Lysander erschien zeitig in der Brasserie, die sich als Gebäude aus Holz und Gusseisen entpuppte, mit zwei großzügigen Veranden, die von einem kunstvoll verzierten Gewächshaus ausgingen. Es lag vom Place Neuve zurückgesetzt im ehemaligen botanischen Garten, weit genug entfernt von den vielen Bussen und Automobilen, die unaufhörlich um den Platz fuhren, um nicht von Lärm oder Staub belästigt zu werden. Er hatte seine verhassten braunen Schuhe gegen die schwarzen getauscht, den Homburg gegen den Panamahut, außerdem trug er eine seiner neuen Seidenkrawatten mit einfachem Knoten zum weißen Hemd. Nun fühlte er sich wieder wie der lässig-charmante Schauspieler Lysander Rief und nicht mehr wie der behäbige Eisenbahningenieur Abelard Schwimmer. Ob Madame Duchesne den feinen Unterschied wohl –
    »Herr Schwimmer? Sie sind ja früh dran.«
    Er drehte sich um und sah Madame Duchesne über eine von jungen Linden gesäumte weiße Kiesallee kommen. Natürlich trug sie nach wie vor Trauerkleidung, dazu aber einen offenen, rüschenbesetzten Sonnenschirm als Schutz vor den letzten Strahlen, und ihr feines Taftkleid war an Ausschnitt und Ärmeln mit Spitzen versehen, nach der neuesten Mode nur knöchellang, so dass darunter ihre schillernd blaugrauen geknöpften Stiefelchen mit Pompadourabsatz zu sehen waren. Sie mochte zwar lange, dafür aber äußerst stilvoll trauern, dachte Lysander. Als sie einander zur Begrüßung die Hand reichten, überlegte er, inwiefern sie ihre auffallend schlanke Linie dem Korsett zu verdanken hatte und was sie unter diesem knisternden, enganliegenden Kleid wohl für Wäsche trug. Leicht beschämt und verwundert, weil Madame Duchesne eine solche Lüsternheit in ihm wachrief, zügelte er seine Gedanken. Als man sie zu ihrem Zweiertisch führte, stieg ihm ein Hauch ihres Parfums in die Nase – intensiv und moschushaltig. Puder oder Lippenstift hatte sie nicht verwendet, aber das Parfum war nicht ohne Bedeutung – vielleicht hatte sie es für ihn aufgelegt. Er stellte sich vor, wie sie vor dem Spiegel stand und ganz zuletzt nach ihrem Flakon griff – jeweils einen Tupfer am Hals und auf die Innenseite der Handgelenke … Halt. Das reichte.
    »Sollen wir Champagner bestellen?«, regte er an. »Ich glaube nicht, dass Massinger etwas dagegen hätte.«
    »Ich trinke keinen Champagner«, erwiderte sie. »Nur etwas Rotwein zum Essen.«
    Sie entschieden sich beide für das menu du jour : Consommé, Kalbsfrikassee, Käse und Apfeltarte. Der Wein, den er ausgesucht hatte, erwies sich allerdings als rau und recht säuerlich, so dass sie die Flasche nur zur Hälfte leerten. Lysander verspürte eine wachsende Anspannung, und ihr Gespräch gelangte nie über das Förmliche oder Oberflächliche hinaus.
    Als sie den Kaffee bestellten, fragte ihn Madame Duchesne, ob er Soldat sei.
    »Ja. Ich habe mich kurz nach Kriegsausbruch freiwillig gemeldet.« Er gab keine Details aus seinem Soldatenleben preis, erwähnte lediglich, dass sein Regiment die E.S.L.I. war, doch das genügte offenbar, um Eindruck zu machen. Er hatte das diffuse Gefühl, dass Madame Duchesne ihn nun mit anderen Augen sah.
    »Und was haben Sie davor gemacht?«, fragte sie.
    »Ich war Schauspieler.«
    Zum ersten Mal geriet ihr Gleichmut ins Wanken, für den Bruchteil einer Sekunde ließ sie sich ihre

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