Eine Hand voll Asche
klingen. Nehmen wir mal an, da ist ein Krematorium, das seiner Aufgabe nicht nachkommt.« Ich unterbrach mich. Sie wartete. Ich schwieg noch etwas länger. Sie gab schließlich nach, weil sie nicht noch mehr Zeit vergeuden wollte.
»Seiner Aufgabe nicht nachkommt? Was heißt das?«
»Nun, was ist die Aufgabe eines Krematoriums?«
»Leichen einzuäschern«, fuhr sie mich an. »Worauf wollen Sie hinaus, Doktor? Meinen Sie das etwa mit ›nicht kryptisch‹?«
»Tut mir leid«, sagte ich noch einmal. »Ich bin hier nur in einer etwas delikaten Lage.« Ich war mir nicht klar darüber, ob ich Informationen, die ich für einen Auftraggeber gesammelt hatte – und das war Burt DeVriess in diesem Fall, denn es waren die Kremate seiner Tante Jean, deretwegen ich nach Georgia gefahren war –, vertraulich behandeln musste.
»Dr. Brockton, bitte, sagen Sie nicht, Sie sind schon wieder in eine unserer verdeckten Ermittlungen gestolpert.«
»Wenn ja«, entgegnete ich, »wie sollte ich das wissen? Wie Sie gesehen haben, habe ich kein besonders entwickeltes Talent dafür, Ihre verdeckt ermittelnden Beamten aufzuspüren.«
»Stimmt. Aber lassen Sie uns zum Punkt kommen, Doktor. Rufen Sie an, um ein Delikt gegen Bundesrecht anzuzeigen?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte ich, »aber ich glaube, ja. Wenn ein Krematorium dafür bezahlt wird, Leichen einzuäschern, und die Leichen werden nicht eingeäschert, ist das doch Vertragsbruch, richtig?«
»Vertragsbruch oder Betrug, wahrscheinlich.«
»Und wenn sie Geschäfte übers Telefon abwickeln, mit Kunden in verschiedenen Staaten – sagen wir, Tennessee, Alabama und Georgia –, wäre das dann Interstate Wire Fraud, staatenübergreifender Betrug mit Hilfe des Telefons?«
Ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich über Wirtschaftsverbrechen wusste, was nicht viel war. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Interstate Wire Fraud als Form von organisiertem Verbrechen betrachtet wird?«
»Im Prinzip ja«, sagte sie. »Als das Gesetz gegen das organisierte Verbrechen verfasst wurde, haben Krematorien vermutlich nicht ganz oben auf der Liste gefährlicher krimineller Unternehmungen gestanden, aber formaljuristisch liegen Sie wahrscheinlich richtig – Wire Fraud ist ziemlich allgemein definiert, was Sie da beschreiben, könnte also Telefonbetrug und organisiertes Verbrechen sein. Im Prinzip.«
»Sie sagen immer wieder ›im Prinzip‹. Warum?«
»Weil eine ziemlich hohe Hürde zu überwinden ist, bevor wir einen Fall von staatenübergreifendem Wire Fraud verfolgen.«
»Was für eine Hürde?«
»Eine finanzielle Hürde. Der Schaden muss sich auf mindestens eine Viertelmillion Dollar beziffern lassen, damit wir Gelder für Ermittlungen und Strafverfolgung bekommen. Und der Bundesanwalt muss der Meinung sein, dass es der Mühe wert ist. Es ist wie mit dem Tempolimit – im Prinzip kann die Polizei Ihnen dafür, dass Sie in einer Fünfzig-Kilometer-Zone fünfundfünfzig fahren, einen Strafzettel verpassen, aber damit vergeudet sie nicht ihre Zeit. Sie hält Ausschau nach denen, die sechzig oder siebzig fahren. Um auf das Krematorium zurückzukommen; wenn ein Krematorium jemanden nicht einäschert, für dessen Einäscherung es bezahlt wurde, ja, dann hat es einen Betrug begangen. Wenn es dabei staatsübergreifend Telefonleitungen benutzt hat – und heutzutage läuft jedes Telefongespräch über landesweite Telefonnetze, es sei denn, Sie benutzen Konservendosen und Schnur, um sich mit dem Typen von nebenan zu unterhalten –, ja, dann ist es Interstate Wire Fraud. Aber die Wirklichkeit sieht so aus, dass wir weder die Zeit noch die Mittel haben, uns um ein Krematorium zu kümmern, das eine Leiche nicht eingeäschert hat. Dafür gibt es Zivilklagen.«
»Wie steht es mit hundert Leichen? Vielleicht noch mehr?«
So lange, wie Price jetzt schwieg, hatte sie noch nie den Mund gehalten. »Was meinen Sie damit?«
»Ich meine, was ist, wenn das Krematorium nicht ein oder zwei Menschen betrügt? Was, wenn es Hunderte betrügt – alle, mit denen es zu tun hat? Was, wenn es überhaupt keine Leichen einäschert?«
Sie machte wieder eine Pause. Es bereitete mir großen Spaß, Price die Sprache zu verschlagen. »Und was macht es mit diesen Leichen, wenn es sie nicht einäschert?«
»Stapelt sie in einem Kiefernwald.«
»Sie wissen das ganz sicher?«
»Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Hunderte von Leichen?«
»Genaugenommen«, sagte ich, »habe ich nicht hunderte
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