Eine handvoll Dunkelheit
wie eine Marionette.
»Rick, ich habe mich geschnitten«, sagte sie. »An einem Nagel oder etwas Ähnlichem.«
Was Mrs. Everett gewesen war, erbebte. Formlos und nur verschwommen sichtbar, gab es dumpfe Laute von sich und schwankte grotesk hin und her. Allmählich nahm es wieder klare Gestalt an. »Mein Finger«, stöhnte eine matte Stimme. Wie Spiegelbilder, die von der Finsternis aufgesogen wurden, begann die dritte Gestalt in dem Lehnstuhl zu sprechen. Bald wiederholten sie alle den Satz, jeder den Finger ausgestreckt, gleichförmig die Lippen bewegend.
»Mein Finger. Ich habe mich geschnitten, Rick.«
Papageien, die die Worte und Bewegungen nachäfften. Und die Gestalten waren ihm vollkommen vertraut. Wieder und wieder erklang der Satz. Zwei saßen auf der Couch, eine in dem Lehnstuhl, die vierte war ihm ganz nah – so nah, daß er ihren Atem hören und das Zittern ihrer Lippen beobachten konnte.
»Was ist?« fragte die Silvia neben ihm.
Auf der Couch begann eine Silvia wieder die Näharbeit aufzunehmen – sie nähte methodisch, vollkommen in der Tätigkeit versunken. In dem bequemen Sessel hob eine andere ihre Zeitung, ihre Pfeife, und fuhr fort zu lesen. Eine kauerte nervös und furchtsam auf dem Boden. Jene, die neben ihm stand, folgte ihm, als er zur Tür zurückwich. Sie schluchzte verwirrt, und ihre grauen Augen waren geweitet, ihre Nasenflügel gebläht.
»Rick ...«
Er riß die Tür auf und floh hinaus auf die dunkle Veranda. Mechanisch stieg er die Treppe hinunter, schritt durch die Nachtfinsternis auf die Straße zu. In dem hellen, gelben Viereck hinter ihm zeichneten sich Silvias Umrisse ab, wie sie ihm unglücklich nachblickte. Und hinter ihr die anderen Gestalten, identische, vollkommene Kopien, die ihren Beschäftigungen nachgingen.
Er erreichte das Coupé und steuerte es auf die Straße.
Düstere Bäume und Häuser huschten an ihm vorbei. Er fragte sich, was noch alles geschehen würde. Die überschwappenden Wellen breiteten sich aus – ein ständig größer werdender Kreis, während das Ungleichgewicht zunahm.
Er wandte sich in Richtung Hauptstraße; bald tauchten weitere Autos auf. Er versuchte, etwas durch die Scheiben zu erkennen, aber die Fahrzeuge bewegten sich zu schnell. Der Wagen vor ihm war ein roter Plymouth. Ein schwergewichtiger Mann in einem blauen Geschäftsanzug saß am Lenkrad und lachte ausgelassen mit seiner Beifahrerin. Er steuerte sein Coupé näher an den Plymouth heran und folgte ihm. Der Mann entblößte blitzende Goldzähne, lächelte, wedelte mit den feisten Händen. Das Mädchen war dunkelhaarig und schön. Sie erwiderte das Lächeln des Mannes, zog ihre weißen Handschuhe zurecht, strich über ihr Haar und kurbelte dann das Seitenfenster nach oben.
Er verlor den Plymouth aus den Augen. Ein schwerer Diesellaster schob sich zwischen sie. Verzweifelt überholte er den Lastwagen und fädelte sich vor der Limousine wieder ein. Schließlich schoß sie an ihm vorbei, und für einen Moment waren die beiden Insassen deutlich zu erkennen. Das Mädchen erinnerte an Silvia. Es besaß das gleiche wohlgeformte, kleine Kinn – die gleichen dunkelroten Lippen, die sich beim Lächeln ein wenig öffneten – und die gleichen schlanken Arme und Hände. Es war Silvia. Der Plymouth rollte davon, und vor ihm befand sich kein weiterer Wagen mehr.
Vier Stunden lang fuhr er durch die tiefe Finsternis der Nacht. Die Benzinuhr zeigte immer niedrigere Werte an. Vor ihm breitete sich düsteres Hügelland aus, leergemähte Felder zwischen den Dörfern, und am klaren Himmel funkelten die Sterne. Einmal glitten an ihm zahlreiche rote und gelbe Lampen vorbei. Eine Raststätte – Tanksäulen und große Neonreklamen. Er fuhr weiter.
An einer kleinen Tankstelle lenkte er den Wagen von der Schnellstraße auf den ölverschmierten Parkplatz. Er stieg aus, seine Schuhe knirschten auf dem Steinboden. Er griff nach dem Benzinschlauch und drehte den Tankdeckel seines Autos auf. Der Tank war fast voll, als die Tür des flachen Gebäudes aufglitt und eine schlanke Frau in einem weißen Overall und einer Marinejacke und einer kleinen Mütze auf den braunen Lockenhaaren heraustrat.
»Guten Abend, Rick«, sagte sie leise.
Er hängte den Benzinschlauch ein. Dann fuhr er zurück auf die Schnellstraße. Hatte er den Tankverschluß wieder zugeschraubt? Er wußte es nicht mehr. Er erhöhte die Geschwindigkeit. Rund hundertfünfzig Kilometer hatte er bereits zurückgelegt und näherte sich nun der
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