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Eine handvoll Dunkelheit

Eine handvoll Dunkelheit

Titel: Eine handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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neunundzwanzig Stunden lang untersucht; es hatte die Stromleitungen abgetastet, die die schwere Tür an ihrem Platz hielten. Es hatte die Anschlußklemmen lokalisiert, wo die Leitungen mit der magnetischen Umrandung der Tür zusammentrafen. Während der letzten Stunde hatte es sich durch die Rexeroidbeschichtung gebohrt und sich bis auf zweieinhalb Zentimeter den Anschlußklemmen genähert. Das kriechende, forschende Objekt war V-Stephens Chirurgenhand, ein selbstlenkender Roboter, der Präzisionsarbeit lieferte und gewöhnlich mit seinem rechten Handgelenk verbunden war.
    Doch jetzt nicht mehr. Er hatte ihn abgenommen und ihn zur Frontseite des Würfels geschickt, um einen Ausweg zu suchen. Die Metallfinger klammerten sich mühsam an die glatte, dunkle Türfläche, während sich der Schneiddaumen angestrengt tiefer hineinbohrte. Es war eine schwere Aufgabe für eine Chirurgenhand; danach würde sie am Operationstisch nicht mehr zu gebrauchen sein. Aber es war für V- Stephens ein leichtes, sich eine neue zu besorgen – in jedem Medizinbedarfsgeschäft auf der Venus wurden sie verkauft.
    Der Zeigefinger der Chirurgenhand erreichte die Anode und hielt fragend inne. Alle vier Finger richteten sich auf und bewegten sich wie Insektenfühler. Nacheinander schoben sie sich in den Schlitz und suchten nach der nahe gelegenen Kathode.
    Unvermittelt flammte ein greller Blitz auf. Eine weiße, beißende Wolke bildete sich, gefolgt von einem durchdringenden Knall. Die Tür rührte sich nicht, als die Hand nach getaner Arbeit zu Boden fiel. V- Stephens drückte seine Zigarette aus, erhob sich geschmeidig und durchquerte den Würfel, um sie aufzuheben.
    Als sich die Hand wieder an ihrem Platz befand und Teil seines Neuromuskularsystems war, umklammerte V-Stephens sorgfältig die Schloßumrandung und zog daran. Die Tür gab nach, und er sah sich einem leeren Korridor gegenüber. Kein Laut ertönte, nichts rührte sich. Keine Wächter. Kein Kamerasystem, das die Patienten überwachte. V-Stephens lief los, um eine Biegung und durch eine Anzahl Seitengänge.
    Kurz darauf stand er vor einem breiten Fenster und blickte hinunter auf die Straßen, die Nachbargebäude und das Krankenhausgrundstück.
    Er nahm die Armbanduhr, das Feuerzeug, den Kugelschreiber, Schlüssel und Münzen, und seine geschickten Fleisch- und Metallfinger montierten flink daraus ein kompliziertes Gebilde. Er löste den Schneiddaumen und schraubte ein Hitzeelement an das Gelenk. Rasch befestigte er dann den Mechanismus unter dem Fensterbrett, so daß er vom Gang aus nicht sichtbar war.
    Er zog sich soeben in den Korridor zurück, als ihn ein Geräusch verharren ließ. Stimmen: ein Krankenhauswächter und noch eine weitere Person. Eine vertraute Person.
    Er rannte zurück zum Psychopathologie-Flügel und in seinen Würfel. Das Magnetschloß ließ sich nur schwer wieder an seinem Platz befestigen; die Hitze, die durch den Kurzschluß entstanden war, hatte die Klammern verbogen. Kaum hatte er die Tür geschlossen, ertönten draußen Schritte. Das Magnetfeld des Schlosses funktionierte nicht mehr, aber natürlich wußte das der Besucher nicht. V-Stephens hörte amüsiert zu, wie der Besucher sorgfältig das nicht vorhandene Magnetfeld ausschaltete und dann die Tür öffnete.
    »Treten Sie ein«, sagte V-Stephens.
    Doktor LeMarr folgte der Aufforderung, in der einen Hand eine Aktentasche, in der anderen einen Kältestrahler. »Kommen Sie. Ich habe alles vorbereitet. Geld, falsche Papiere, Reisepaß, Tickets und Starterlaubnis. Von nun an sind Sie ein Handelsvertreter der Schwimmfüße. Wenn Gannet Ihre Flucht entdeckt, werden Sie bereits außerhalb der militärischen Überwachung und der irdischen Gerichtsbarkeit sein.«
    V-Stephens war verblüfft. »Aber ...«
    »Beeilen Sie sich!« LeMarr deutete mit seinem Kältestrahler hinaus in den Korridor. »Als Mitglied des Krankenhauspersonals besitze ich die Verfügungsgewalt über die psychisch kranken Insassen. Technisch gesehen sind Sie als geistig gestörter Patient hier. Aber wenn Sie mich fragen, so sind Sie nicht verrückter als die anderen. Wenn nicht sogar weniger. Deshalb bin ich hier.«
    V-Stephens sah ihn zweifelnd an. »Sind Sie sicher, daß Sie wissen, was Sie tun?« Er folgte LeMarr in den Korridor, vorbei an dem ausdruckslos dastehenden Pfleger und in den Aufzug. »Man wird Sie als Verräter hinrichten, wenn man Sie faßt. Dieser Pfleger hat Sie gesehen – wie wollen Sie das vertuschen?«
    »Ich erwarte nicht,

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