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Eine Handvoll Dunkelheit

Eine Handvoll Dunkelheit

Titel: Eine Handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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versucht, sie zurückzuholen?“
    „Das ist richtig“, bestätigte Rick.
    Betty Lou kicherte nervös. „Aber Sie können es nicht. Sie ist tot … ihr Körper ist verbrannt … ich habe es gesehen.“ In ihrem Gesicht arbeitete es. „Vati hat immer behauptet, daß ihr etwas Schlimmes zustoßen würde, und so geschah es auch.“ Sie lehnte sich an Rick. „Sie war eine Hexe! Sie hat bekommen, was sie verdient hat!“
    „Sie kehrt zurück“, sagte Rick.
    „Nein!“ Panik verzerrte das grobe Antlitz des Mädchens. „Sie kann nicht zurückkommen. Sie ist tot – wie sie immer sagte: von einer Raupe zu einem Schmetterling geworden –, sie ist ein Schmetterling!“
    „Geh ins Wohnzimmer“, forderte Rick sie auf.
    „Sie können mich nicht herumkommandieren“, erklärte Betty Lou. Ihre Stimme nahm einen hysterischen Tonfall an. „Das ist mein Haus. Wir wollen Sie nicht mehr hier haben. Vati wird Ihnen das schon sagen. Er mag Sie nicht, und ich mag Sie nicht, und meine Mutter und meine Schwester …“
    Die Veränderung erfolgte übergangslos. Wie ein Film, der riß. Betty Lou erstarrte, den Mund halb geöffnet, einen Arm erhoben, und die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Sie war wie gelähmt, ein unvermittelt lebloses Geschöpf, das nur verschwommen sichtbar dastand, wie zwischen zwei Glasscheiben gefangen. Ein dumpfes Insekt, ohne Sprache oder Laute, träge und hohl. Nicht tot, aber abrupt zur ursprünglichen Unbeseeltheit zurückgeschleudert.
    In die gefangene Hülle drang ein neues Bewußtsein, ein neues Wesen. Es legte sich über sie, eine lebensspendende Sonne, die gierig in sie eindrang – wie heiße Flüssigkeit – und jede ihrer Zellen erfüllte. Das Mädchen taumelte und stöhnte; ihr Körper wurde von entsetzlichen Krämpfen erschüttert und gegen die Wand geschleudert. Eine Teetasse aus chinesischem Porzellan fiel von einem Regal und zerbarst auf dem Boden. Das Mädchen wich benommen zurück, eine Hand auf ihrem Mund, die Augen vor Schmerz und Entsetzen geweitet.
    „Oh!“ keuchte sie. „Ich habe mich geschnitten.“ Sie schüttelte den Kopf und sah bestürzt und flehentlich zu ihm auf. „An einem Nagel oder etwas Ähnlichem.“
    „Silvia!“ Er griff nach ihr und half ihr hoch, zog sie fort von der Wand. Es war ihr Arm, den er berührte, warm und fest und weiblich. Verwirrte graue Augen, braune Haare, bebende Brüste – sie sah genauso aus wie in jenen letzten Momenten im Keller.
    „Laß mich nachschauen“, bat er. Er nahm ihr die Hand vom Mund und untersuchte zitternd ihren Finger. Dort war keine Schnittwunde, nur eine dünne weiße Narbe, die rasch verblaßte. „Es ist alles in Ordnung, Liebling. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es ist alles gut.“
    „Rick, ich war drüben.“ Ihre Stimme war rauh und leise. „Sie kamen und zerrten mich zu ihnen hinüber.“ Sie schauderte heftig. „Rick, bin ich wirklich zurück?“
    Er preßte sie an sich. „Du bist zurück.“
    „Es hat so lange gedauert. Über ein Jahrhundert war ich drüben. Endlose Jahre. Ich dachte …“ Plötzlich stieß sie ihn fort. „Rick …“
    „Was ist denn?“
    Silvias Gesicht war furcht verzerrt. „Etwas stimmt nicht.“
    „Alles ist in Ordnung. Du bist wieder zu Hause, und das ist alles, was zählt.“
    Silvia wich von ihm zurück. „Aber sie haben eine lebende Form benutzt, nicht wahr? Keinen Lehmklumpen. Sie besitzen nicht die Macht dazu, Rick. Sie haben statt dessen Seine Tat verändert.“ Ihre Stimme wurde schrill vor Panik. „Ein Fehler – sie hätten wissen müssen, daß dies das Gleichgewicht stört. Es ist instabil, und keiner von ihnen kann es kontrollieren …“
    Rick versperrte die Tür. „Hör auf so zu reden!“ stieß er wütend hervor. „Es war es wert – alles ist es wert. Wenn sie das Gleichgewicht durcheinandergebracht haben, dann ist es ihre Schuld.“
    „Wir können es nicht umkehren!“ Grell, dünn und schneidend war ihre Stimme, wie Stacheldraht. „Wir haben es ausgelöst, und die Wellen werden alles überfluten. Das Gleichgewicht, das Er geschaffen hat, besteht nicht mehr.“
    „Komm, Liebling“, bat Rick. „Gehen wir ins Wohnzimmer zu deiner Familie. Dort wirst du dich besser fühlen. Und du mußt versuchen, all das zu vergessen.“
    Sie näherten sich den drei sitzenden Gestalten, zwei auf der Couch, eine im Lehnstuhl neben dem Kamin. Die Gestalten saßen reglos da, mit ausdruckslosen Gesichtern, schlaff und wächsern, zusammengesunkene Hüllen, die nicht

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