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Eine Handvoll Dunkelheit

Eine Handvoll Dunkelheit

Titel: Eine Handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Rezitation, die nur ihr selbst galt. „… gar nicht gut, Barefoot, daß Sie sie verlassen haben. Verrat an Ihrer Arbeit; ich dachte, Sie würden Ihre Verantwortung begreifen. Sich ihr gegenüber genauso loyal verhalten wie bei mir, und Sie wären nie trotzig davongelaufen und hätten bei mir gekündigt. Ich habe meinen Leichnam in Ihre Obhut gegeben, damit Sie bleiben. Sie können nicht …“
    Johnny legte auf.
    Sofort klingelte das Telefon wieder.
    Dieses Mal griff er nicht nach dem Hörer. Zur Hölle mit dir, dachte er. Er trat ans Fenster und blickte hinunter auf die Straße und dachte über ein Gespräch nach, das er vor Jahren mit dem alten Louis geführt hatte, jenes Gespräch, von dem er so tief beeindruckt gewesen war. Das Gespräch, bei dem sich herausgestellt hatte, daß er nicht zur Universität gegangen war, weil er sterben wollte. Er blickte hinunter auf die Straße und sagte sich: Vielleicht sollte ich springen. Zumindest würde es dann keine Telefongespräche geben … keine Unterhaltungen mehr mit ihm.
    Das schlimmste, dachte er, ist seine Senilität. Seine Gedanken sind nicht klar, nicht deutlich; sie sind traumähnlich, irrational. Der alte Mann lebt nicht wirklich. Er ist nicht einmal ein Halblebender. Sein Bewußtsein verblaßt und stirbt allmählich ab. Und wir sind gezwungen, ihm zuzuhören, während er Stück für Stück dahinsiecht bis zu seinem endgültigen, vollkommenen Tod.
    Aber selbst in diesem degenerierten Zustand besaß er noch Wünsche. Er wollte etwas, und dies mit aller Macht. Er wollte, daß Johnny etwas tat; er wollte, daß Kathy etwas tat; die Überreste von Louis Sarapis waren vital und aktiv und raffiniert genug, um eine Möglichkeit zu finden, ihn zu überreden und das zu bekommen, was er wollte. Eine Travestie der Wünsche, die Louis zu Lebzeiten gehabt hatte, und dennoch konnte man ihn nicht ignorieren; man konnte ihm nicht entkommen.
    Das Telefon klingelte weiter.
    Vielleicht ist das nicht Louis, dachte er dann. Vielleicht ist das Kathy. Er hob den Hörer. Und legte ihn sofort wieder auf. Erneut das Knistern, die Fragmente von Louis Sarapis’ Persönlichkeit … er schauderte. Und ist es nur hier so, ist es selektiv?
    Er hatte das schreckliche Gefühl, daß es nicht selektiv war.
    Er trat ans TV-Gerät an der gegenüberliegenden Wand und schaltete es ein. Der Bildschirm wurde hell, doch er zeigte eine seltsame Szene. Die trüben Umrisse eines – es schien ein Gesicht zu sein.
    Und jeder, erkannte er, sieht es. Er schaltete auf einen anderen Kanal. Wieder das verschwommen erkennbare Gesicht des alten Mannes, der halb auf dem Fernsehschirm materialisiert war. Und aus dem Lautsprecher klang das Geraune der undeutlichen Gedanken. „… habe ich Ihnen immer wieder gesagt, daß es Ihre oberste Pflicht ist …“ Johnny schaltete aus; das flackernde Gesicht verschwand, und die Worte brachen ab, und nur das Klingeln des Telefones war noch zu hören.
    Er ging an den Apparat und sagte: „Louis, können Sie mich verstehen?“
    „… wenn die Wahl kommt, werden sie verstehen. Ein Mann, der die Energie besitzt, zum zweitenmal zu kandidieren, und das finanzielle Risiko auf sich nimmt … schließlich ist das heutzutage nur etwas für die Reichen, wenn man die Kosten für die Bewerbung bedenkt …“ Die Stimme erstarb. Nein, der alte Mann konnte ihn nicht hören. Es war kein Gespräch; es war ein Monolog. Es war keine richtige Verständigung.
    Und dennoch wußte der alte Mann, was auf der Erde geschah, er schien zu wissen, es irgendwie zu ahnen, daß Johnny seine Stellung gekündigt hatte.
    Er legte den Hörer auf, setzte sich und zündete eine Zigarette an.
    Ich kann nicht zu Kathy zurück, erkannte er, wenn ich meine Meinung nicht ändere und ihr sage, sie soll nicht verkaufen. Und das ist unmöglich; ich kann es nicht. Also ist diese Sache damit erledigt. Was bleibt mir noch übrig?
    Wie lange wird mich Sarapis verfolgen? Gibt es einen Ort, wo ich mich verbergen kann?
    Er schritt zurück zum Fenster und sah wieder hinunter auf die Straße.
    Am Zeitungsstand warf St. Cyr eine Münze in den Zahlschlitz und holte die Zeitung heraus.
    „Danke, Sir oder Madam“, sagte der Robotverkäufer.
    Der Leitartikel … St. Cyr zwinkerte und fragte sich, ob er den Verstand verloren hatte. Es war unmöglich, was er da las. Es ergab keinen Sinn; das homöosthatische Nachrichtennetz, die vollautomatische Mikrorelaiszeitung war offensichtlich beschädigt. Alles, was er sah, war eine Ansammlung

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