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Eine Handvoll Dunkelheit

Eine Handvoll Dunkelheit

Titel: Eine Handvoll Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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Kraft fest. Er suchte an den Kartons nach Halt, zog die Beine an und kauerte sich nieder, verzweifelt darauf bedacht, nicht hinuntergeschleudert zu werden. Allmählich kam der Lieferwagen zur Ruhe, und das Drehmoment ließ nach. Jackie gab ein erleichtertes Seufzen von sich und setzte sich dankbar auf.
    Er hatte erreicht, was er wollte. Er war schließlich doch mitgekommen und begleitete Mrs. Berthelson auf ihrer geheimnisvollen, allwöchentlichen Reise, nahm an ihrem rätselhaften, geheimgehaltenen Unternehmen teil, das ihr einen – so hatte er gehört – sagenhaften Profit einbrachte. Eine Reise, deren Ziel niemand kannte. Doch in den Tiefen seines kindlichen Bewußtseins war er davon überzeugt, daß es sich um etwas Sensationelles und Wunderbares handelte, etwas, das die ganze Mühe bestimmt wert war.
    Er hoffte inbrünstig, sie hielt nicht unterwegs an, um nach ihrer Ladung zu sehen.
    Mit unerschöpflicher Sorgfalt bereitete sich Tellman eine Tasse „Kaffee“. Zuerst trug er einen Blechnapf mit geröstetem Getreide zu dem Benzinkanister, den die Kolonie als Mixkanne benutzte. Er schüttete den Inhalt des Napfes hinein und beeilte sich, eine Handvoll Zichorienblätter und ein wenig getrocknete Kleie hinzuzufügen. Mit zitternden, schmutzig-fleckigen Händen ging er daran, inmitten der Asche und Kohle unter dem angefressenen Metallrost ein Feuer zu entfachen. Dann setzte er eine Pfanne mit lauwarmem Wasser auf die Flammen und suchte nach einem Löffel.
    „Was machst du da?“ verlangte seine Frau von hinten zu wissen.
    „Äh“, murmelte Tellman. Nervös schob er sich an Gladys vorbei. „Trödele nur so herum.“ Gegen seinen Willen lag ein nörgelndes Jammern in seiner Stimme. „Ich habe das Recht, mir selbst etwas zuzubereiten, nicht wahr? Genauso viel Recht wie die anderen.“
    „Du solltest drüben sein und helfen.“
    „War ich ja. Ich hab’ mir irgend etwas im Rücken verrenkt.“ Der sehnige Mann mittleren Alters ging seiner Frau unbeholfen aus dem Weg. Während er an den Lumpen seines schmutzigen weißen Hemdes zupfte, wich er zur Tür der Hütte zurück. „Verdammt noch mal, ein Mensch muß sich manchmal ausruhen.“
    „Du kannst dich ausruhen, wenn wir dort sind.“ Müde warf Gladys ihr dickes dunkelblondes Haar zurück. „Wenn sich jeder so wie du verhielte …“
    Tellman errötete beleidigt. „Wer hat die Flugbahn berechnet? Wer hat die ganzen Navigationsarbeiten erledigt?“
    Ein schwaches ironisches Lächeln umspielte die rissigen Lippen seiner Frau. „Wir werden noch sehen, was aus deinen Diagrammen herauskommt“, meinte sie. „Dann sprechen wir darüber.“
    Aufgebracht stürzte Tellman aus der Hütte hinaus in das blendende Sonnenlicht des späten Nachmittags.
    Er haßte die Sonne, den sterilen weißen Glanz, der um fünf Uhr morgens begann und bis um neun Uhr abends andauerte. Die große Explosion hatte den Wasserdampf aus der Luft gesengt. Die Sonne brannte erbarmungslos herab, sparte niemanden aus. Aber es waren nur noch wenige übrig, die das kümmerte.
    Zu seiner Rechten war die Traube aus Hütten, aus denen das Lager bestand. Ein eklektisches Mischmasch aus Brettern, Blechteilen, Drahtverhauen und Teerpappe, aufragenden Betonblöcken, jedes einzelne Teil aus den sechzig Kilometer weiter westlich gelegenen Ruinen von San Francisco hierhergeschleppt. Leinendecken flatterten trübselig vor den Eingängen und boten Schutz vor den riesigen Insektenschwärmen, die sich von Zeit zu Zeit über das Lager ergossen. Die Vögel – natürliche Feinde der Insekten – waren verschwunden. Tellman hatte in zwei Jahren nicht einen Vogel gesehen, und er erwartete nicht, jemals wieder einen zu sehen. Jenseits des Lagers begann die unveränderliche, tote, schwarze Asche, das verkohlte Angesicht der Welt, ohne Gestalt, ohne Leben.
    Das Lager war in einer natürlichen Niederung errichtet worden. Eine Seite wurde von den eingefallenen Ruinen dessen geschützt, was einst eine niedrige Bergkette gewesen war. Die Erschütterung durch die Explosion hatte die aufragenden Klippen zerbrochen. Tagelang waren Felsen ins Tal hinab geregnet. Nachdem San Francisco von der Landkarte gebrannt worden war, hatten sich die Überlebenden in die Haufen aus Felsblöcken verkrochen, auf der Suche nach einem Platz, wo sie sich vor der Sonne verbergen konnten. Das war das schlimmste: die ungeschützte Sonne. Nicht die Insekten, nicht die radioaktiven Aschewolken, nicht die aufblitzende weiße Glut der Explosionen,

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