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Eine Hexe in Nevermore

Eine Hexe in Nevermore

Titel: Eine Hexe in Nevermore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Bardsley
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tut?«
    Grays Herz zog sich schmerzhaft zusammen – das Herz, das Kerren mit ihrem Verrat und mit ihrem Dolch durchstoßen hatte. »Manchmal machen unsere Gefühle uns blind. Aber wir haben immer eine Wahl.«
    »Ja«, flüsterte sie. »Das stimmt.«
    »Dann nenn mir seinen Namen, und ich werde dich beschützen.«
    »Beschützen Sie sich selbst!« Sie schubste ihn plötzlich weg und rannte davon. Gray stolperte rückwärts in einen matschigen Haufen nasser Pappkartons und landete auf dem Hintern. Fluchend stand er wieder auf. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Marcy an der Ecke vor dem Café stehen blieb, sich umdrehte und rief: »Und retten Sie auch die Hexe. Sie hat Ärger. Wie wir alle!«
    Dann verschwand sie.
    Schwer atmend versuchte Gray, die Verfolgung aufzunehmen, doch als er die Straße erreicht hatte, war sie schon nicht mehr zu sehen. Der Regen war zu stark, um sie mit einem Verfolgungszauber ausfindig zu machen, selbst wenn er sicher irgendetwas von ihr im Café fand. Er könnte auch einfach zu ihr und Cathleen nach Hause gehen und sie dort abfangen. Keuchend und mit schmerzender Seite hielt er sich an der Wand des Gebäudes fest und überlegte, was er jetzt tun sollte. Marcy würde sich sicher verstecken. Leider. Aber was hatte sie damit gemeint, dass Lucinda Ärger hätte wie alle?
    Diese eigene Unentschlossenheit mochte er gar nicht, erst recht nicht, wenn es in Strömen regnete und er inmitten von stinkenden Abfällen stand. Vielleicht konnte er in diesem Moment einfach nichts für Marcy und Lucinda tun, aber zumindest konnte er die Bewohner von Nevermore daran erinnern, dass er immer noch ihr Hüter war.
    Er kehrte durch den vermeintlichen Notausgang in das Café zurück und ging auf die Herrentoilette, um sich abzutrocknen. An jedem anderen Ort hätte er einen Trockenzauber bemüht, aber bei all den negativen Energien hier traute er sich nicht – sonst stünde er am Ende in Flammen. Böses zog schließlich Böses an. Magie hatte immer etwas mit Gleichgewicht zu tun, und für die meisten Zauber lieh man sich Energie von den Lebewesen, die sich in der unmittelbaren Umgebung befanden. War der Zauber erfüllt, gaben der Zauberer oder die Hexe den Lebewesen die geliehenen Energien wieder zurück.
    Darum war es so wichtig, das Gleichgewicht zu bewahren.
    Doch Gray hatte zugelassen, dass das Café energetisch aus den Fugen geraten war. Dass die ganze Stadt aus den Fugen geraten war. Kein Wunder, er war ja selbst auch nicht im Gleichgewicht. Und er hatte nicht bemerkt, wie sich um ihn herum die Kräfte nach und nach verlagerten. Nevermore war angreifbar geworden, und das war seine Schuld. War die Stadt ohne magische Zugehörigkeit, konnten sich Portale öffnen und Kobolde hereinlassen, die lästig, wenn auch harmlos waren, oder aber Dämonen, die lästig und gefährlich waren. Alle Dämonen waren der Hölle zugeordnet, und selbst wenn es ihnen gelang, auf die Erde zu kommen, entweder durch Portalverschiebung oder einen Befehlszauber, konnten sie nicht lange bleiben. Aber Dämonen schafften es selbst in kurzer Zeit, Chaos anzurichten oder, noch schlimmer, Händel mit Magischen oder Weltlichen zu beginnen und die heiligen Energien zu zerstören. Es würde Gray nicht einmal überraschen, wenn sich mitten im Café ein Portal aufgetan hätte.
    Er hatte alle in Gefahr gebracht, aber das ließ sich reparieren. Noch war nichts Schlimmes passiert. Marcys Warnung beunruhigte ihn zwar immer noch, doch wenn sich ein Portal geöffnet hätte oder Dämonen da wären, wüsste er das. Diese Art von Magie ließ sich nicht verbergen, vor allem nicht vor ihm. Schnell verscheuchte Gray die Zweifel an sich selbst. Er war weder eingerostet noch blind und noch immer nahe genug dran, und es war nicht zu spät.
    Es ist nie zu spät.
    Dieser Satz war immer Grits Motto gewesen, und daran hatte auch Gray geglaubt. Bis Kerren ihm gezeigt hatte, dass es manchmal eben doch zu spät sein konnte.
    Sein Mantel hatte den Regen von ihm abgehalten, aber die Jeans war bei seinem Sturz nass geworden, und seine Haare trieften vor Nässe. Er kämmte die feuchten Strähnen so gut es ging mit den Fingern nach hinten und versuchte, sich nicht allzu lange im Spiegel zu betrachten. Er konnte seinen eigenen Blick nicht ertragen, der ihm sagte: Schäm dich.
    Schnell verließ er die Toilette und ging nach vorn zum Tresen. Cathleen wartete schon ungeduldig an der Registrierkasse, wie man ihren zusammengekniffenen Augen und ihren trommelnden Fingern

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