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Eine Hexe mit Geschmack

Eine Hexe mit Geschmack

Titel: Eine Hexe mit Geschmack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. Lee Martinez
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das Schicksal besonders und wählt ihn für
die wahre Größe aus. Ich war solch ein Mann.
    Der Orden benutzt Seher, deren
einzige Aufgabe es ist, durch die Lande zu wandern, solche Männer zu finden und
sie zu rekrutieren. Ich saß in einer Taverne, halb betrunken, als mich einer
von diesen Sehern fand.«
    Ich versuchte, mir Wyst halb
betrunken vorzustellen, aber selbst die Vorstellungskraft einer Hexe hat ihre
Grenzen.
    Er schloss die Augen und faltete
die Hände auf der Brust. »Dieser Seher erklärte mir, dass ich mich an einem
sehr wichtigen Punkt in meinem Leben befände. Eine Seele kann diese perfekte
Balance nicht lange aufrechterhalten, und auf die eine oder andere Art würde
mich etwas in eine Richtung kippen. Dann gewährte er mir traditionsgemäß einen
Blick auf das, was die jeweilige Entscheidung bringen würde. Danach entschloss
ich mich, sein Angebot anzunehmen und ein Kämpfer des Guten zu werden.«
    »Bei dir klingt das so leicht.«
    »Das war es auch.«
    »Aber wenn deine Seele in
perfekter Balance ruhte, nicht gut oder schlecht, sondern beides und keines
davon, wie konntest du dich dann überhaupt entscheiden?«
    Er drehte sich auf die Seite, mit
dem Rücken zu mir. »Normalerweise gibt es ein Zeichen. Manche warten monatelang
darauf, aber ich war nicht so geduldig. Ich habe eine Münze geworfen.«
    Ich lachte. Ich hatte schon vorher
gelacht, aber nie auf diese Art. Es war weich und musikalisch und sehr
sterblich. Es war mir vollkommen egal.
    »Und wie wird man eine Hexe?«,
fragte Wyst.
    »Das ist ein Geheimnis.«
    Wyst stützte sich auf einen
Ellbogen und wandte mir den Kopf zu. »Weiße Ritter sind sehr geschickt im
Bewahren von Geheimnissen.«
    Ich sah in diese tiefen, dunklen
Augen. Hitze stieg in meiner Brust auf und mein Magen grummelte. Und ich genoss
diese Gefühle.
    »Ja, davon gehe ich aus.«
     
    ACHTZEHN
     
    Eine weitere Woche verging ohne
eine einzige Prüfung, der wir uns stellen mussten. Noch sonst etwas, was auch
nur so interessant gewesen wäre wie eine Gegend mit schlechtem Wetter oder
lästigen Elfen. Molch blieb verschwunden, aber wäre er da gewesen, hätte er
diese Reise sicherlich als viel zu angenehm für eine Rachesuche ge-funden. Ich
konnte warten, solange es nötig war, da ich die nahezu grenzenlose Geduld
besaß, die damit einherging, alterslos und eine gute Hexe zu sein. Aber meine
Gespräche mit Wyst aus dem Westen halfen ebenfalls, die Zeit zu vertreiben.
    Es war nett, jemanden zu haben,
mit dem ich meine Geheimnisse teilen konnte. Ich hatte sie mit Molch und Gwurm
und sogar mit Morgenröte geteilt, aber das war eine einseitige Sache gewesen.
Mein Austausch mit Wyst war ein fairer Handel.
    Er erzählte mir von seiner Jugend,
von seiner Mutter und seinem Vater, von seinen Kindheitsfreunden und -feinden
und wie es gewesen war, ein sterblicher Junge zu sein. Ich sprach von dunklen
Kellern, von der Grausigen Edna und dem Fiesen Larry, davon, den Himmel bis zum
Alter von achtzehn Jahren nicht gesehen zu haben, und wie es gewesen war, ein
fluchbelegtes Mädchen zu sein.
    Wir sprachen von verborgenen
Wünschen. Von kleinen, nicht überwältigend wichtigen, aber von Dingen, die wir
selten zugaben. Ich erfuhr, dass sein Lieblingsgericht Schildkrötensuppe
gewesen war, dass er es liebte zu schwimmen und Hunde besonders gern gemocht
hatte. Er erfuhr, dass meine Lieblingsleckerei frisches Kaninchenhirn war, dass
ich gern Dinge aus Knochen bastelte und ebenfalls eine gewisse Vorliebe für
Hunde hegte, wenn auch auf eine räuberischere Art.
    Wyst verurteilte mich nie. Noch
bemitleidete er mich. Gwurm und Morgenröte hatten das ebenfalls nicht getan,
aber weiße Ritter lebten anders als Trolle und Prostituierte. Es schien mir selten,
dass Männer, die den Mantel der unberührten Tugend genommen hatten, anderen
gegenüber so tolerant bleiben konnten, selbst wenn sie durch Magie und
Schicksal in ungesundere Existenzen hineingezwungen wurden. Ich musste mich
fragen, ob Wyst ein außergewöhnlicher weißer Ritter war oder ob alle in seinem
Orden solche Vorbilder an Rechtschaffenheit und Bescheidenheit waren. Wenn ja,
so verdienten die weißen Ritter ihren legendären Ruf voll und ganz.
    Ich teilte nicht all meine
Geheimnisse mit ihm. Meine Schönheit und all die sinnlichen Begierden behielt
ich für mich. Wyst aus dem Westen ließ sicherlich auch ein paar
unausgesprochen. Jeder sollte sich ein oder zwei Geheimnisse bewahren, und sei
es nur um des Mysteriums willen.
    Am Ende der Woche

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