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Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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hinzu, daß die beiden jungen Leute wie für einander geschaffen waren, und daß sie sich
     so leidenschaftlich liebten, wie man sich eben in Quiquendone lieben kann.
    Man muß durchaus nicht glauben, daß in dieser exceptionellen Stadt junge Herzen nicht auch geschlagen hätten, nur geschah
     das mit einer gewissen Ruhe und Langsamkeit. Natürlich heirateten die Leute in Quiquendone wie auch sonst überall, aber man
     brauchte Zeit dazu. Jeder wollte seinen Zukünftigen oder seine Zukünftige gründlich studiren, ehe die fesselnden Bande sich
     um ihn und sie schlangen, und solche Studien pflegten, wie auf einem regulären Gymnasium, mindestens zehn Jahre zu dauern.
     Daß ein Paar vor dieser Zeit »für reif erklärt« wurde, kam äußerst selten vor.
    Ja, zehn Jahre, volle zehn Jahre brauchte man, um sich in Quiquendone den Hof zu machen, und eigentlich war den Leuten in
     dieser Beziehung nicht Unrecht zu geben. Es erfordert zehn Jahre des Studiums, um Ingenieur, Arzt, Advocat oder Präfecturbeamter
     zu werden, und doch denkt man in weit kürzerer Zeit die nöthige Vorbereitung zu einem Bund für's ganze Leben, für die vielseitigen
     Pflichten und Sorgen eines Ehemanns und Hausvaters zu erwerben. Mag diese Einrichtung bei den Quiquendonianern nun Sache des
     Temperaments oder der Vernunft gewesen sein, sie scheinen mir in dieser Hinsicht das Richtige getroffen zu haben. Wenn man
     sieht, wie in freieren und lebhafteren Städten in Zeit von wenigen Monaten Heiraten zu Standekommen, so zuckt man unwillkürlich die Achseln und kann sich des Wunsches nicht erwehren, seine Söhne und Töchter auf das
     Gymnasium oder ein Pensionat in Quiquendone zu schicken.
    Mir wurde eine einzige Heirat angeführt, die seit einem halben Jahrhundert dort in Zeit von zwei Jahren abgeschlossen war,
     und von dieser behauptete man, daß sie beinahe sehr übel ausgeschlagen sei!
    Also Frantz Niklausse liebte Suzel van Tricasse, aber ruhig und stillfriedlich, wie wir eben lieben, wenn noch zehn Jahre
     des Werbens um den geliebten Gegenstand vor uns liegen. Allwöchentlich ein einziges Mal, zu fest bestimmter Stunde, holte
     Frantz seine Suzel zu einem Spaziergang am Ufer des Vaar ab; natürlich nie, ohne daß er seine Angelschnur, Suzel ihre Stickarbeit
     mitnahm, an der ihre hübschen Finger dann die unwahrscheinlichsten Blumen mit einander vermählten.
    Uebrigens möchte es hier am Ort sein, etwas näher auf die Persönlichkeit des jungen Mannes einzugehen. Frantz war etwa zweiundzwanzig
     Jahre alt, ein leichter Pfirsichflaum sproßte auf seinen Wangen, und wenn er sprach, hörte man, daß er eben erst den Stimmwechsel
     hinter sich hatte.
    Suzel dagegen war blond und rosig, siebenzehn Jahre alt, und hegte keinen Widerwillen gegen die Angelfischerei; freilich eine
     sonderbare Beschäftigung, die eine Schlauheit verlangt, wie sie einer jungen Barbe würdig wäre. Aber Frantz liebte diesen
     Zeitvertreib, der so vorzüglich zu seinem Temperament paßte, denn er war über alles Maß geduldig und gefiel sich darin, mit
     träumerischem Auge nach dem Korkpfropfen zu starren, der auf dem Wasserspiegelhin und her zitterte. Wenn sich dann, nach sechsstündiger Sitzung, ein bescheidenes Fischchen Frantzens erbarmte und anbiß,
     war er sehr zufrieden und glücklich, wußte aber doch seine Aufregung zu beherrschen.
    An jenem Tage nun saßen die beiden Verlobten wieder auf dem grünenden Flußufer und ließen, einige Fuß tiefer, den Vaar an
     sich vorüberziehen. Suzel zog mit gewohntem Phlegma die Wollnadel durch ihren Kanevas, und Frantz ließ automatisch seine Angelruthe
     von der linken Seite zur rechten gehen, um sie dann wieder von der Rechten zur Linken stromabwärts gleiten zu lassen. Die
     Bärbchen sprangen munter im Wasser umher und wählten ihre Promenaden dicht an der Oberfläche des Wassers um den Angelkork,
     während der Haken tief unten in der Fluth vergeblich auf Beute harrte.
    Von Zeit zu Zeit sagte Frantz, ohne irgendwie die Augen nach dem jungen Mädchen zu wenden, in seiner ruhigen Weise:
    »Ich glaube, jetzt beißt Einer an, Suzel.
    – Wirklich, Frantz? fragte das junge Mädchen, ließ für einige Augenblicke die Arbeit in den Schooß sinken und folgte mit regem
     Blick der Angel ihres Verlobten.
    – Ach nein, es war nichts, bemerkte dann Frantz; ich dachte, die Angel bewegte sich, aber ich habe mich wohl geirrt.
    – Es wird schon Einer anbeißen, Frantz, redete ihm Suzel mit ihrer weichen klaren Stimme zu; vergiß

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