Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
Vom Netzwerk:
beiden Räthe nur noch mehr. Uebrigens hatten sie an dem denkwürdigen
     Abend, bevor sie sich trennten, noch »entschieden«, daß sie sich am anderen Morgen wieder zusammenfinden wollten.
    Am folgenden Morgen begab sich also der Bürgermeister schon vor dem Mittagessen in Person zu dem Rath Niklausse. Er hatte
     die Genugthuung, seinen Freund ruhiger zu finden, und auch er selbst gewann nach und nach seine Fassung wieder.
    »Nichts Neues? fragte Tricasse.
    – Seit gestern nichts Neues.
    – Und der Arzt Dominique Custos?
    – Ich habe ebenso wenig von ihm wie von dem Advocaten André Schut etwas gehört.«
    Nach einer Unterhaltung, die etwa eine Stunde währte, sich aber ohne Mühe in drei Zeilen zusammenfassen ließe, wurde von Bürgermeister
     und Rath beschlossen, daß sie dem Doctor Ox einen Besuch abstatten und ihn hierbei auf delicate Weise über die Vorgänge am
     verflossenen Abend ausholen wollten; natürlich ohne ihre Absicht merken zu lassen.
    Als die beiden Herren, ganz ihrer sonstigen Gewohnheit zuwider, diese Entscheidung getroffen hatten, schritten sie sofort
     zur Ausführung des Plans. Sie verließen das Haus und steuerten auf die Anstalt des Doctor Ox zu, die vor dem Audenarder Thor
     gelegen war.
    Bürgermeister und Rath gaben sich zwar nicht den Arm, gingen aber passibus aequis in langsamem, feierlichem Schritt einher, so daß sie nur etwa dreizehn Zoll in der Secunde vorwärts kamen. Es war dies, nebenbei
     bemerkt, der gewöhnliche Amtsschritt ihrer Verwaltungsuntergebenen, die seit Menschengedenken nicht in eiligem Tempo durch
     die Straßen von Quiquendone gegangen waren.
    Von Zeit zu Zeit, wenn die beiden Notabeln an einem Kreuzweg der ruhigen, stillen Straßen ankamen, blieben sie stehen, um
     die Leute zu begrüßen.
    »Guten Morgen, Herr Bürgermeister, sagte hier Jemand.
    – Guten Morgen, lieber Freund, erwiderte leutselig Tricasse.
    – Nichts Neues, Herr Rath? fragte ein Anderer.
    – Durchaus gar nichts«, versetzte Niklausse.
    Aber trotzdem sah man an einem gewissen fragenden Blick der Vorübergehenden, daß der scandalöse Auftritt vom vergangenen Abend
     bereits stadtbekannt geworden war, und auch der Stumpfsinnigste aller Quiquendonianer hätte durch die von den Herren eingeschlagene
     Richtung sofort errathen, daß ihr Gang mit dem betreffenden Ereigniß zusammenhing. Es hatten sich übrigens, trotzdem die Sache
     allgemein besprochen wurde, noch keine Parteien gebildet, denn sowohl Arzt wie Advocat waren in Quiquendone sehr geachtete
     Persönlichkeiten. Und wie sollten sie auch nicht? Hatte doch der Advocat Schut in dieser Stadt, wo Anwälte und Gerichtsdiener
     nur pro forma existirten, nie Gelegenheit gehabt, einen Proceß zu führen und demzufolge nie einen verloren; und was den Arzt
     Custos anlangte,so war er ein sehr ehrenwerther Practicus, der die Patienten von allen Krankheiten heilte – natürlich ausgenommen von derjenigen,
     an der sie starben. Es ist das eine leidige Gewohnheit, die von den Mitgliedern aller Facultäten, in welchem Lande sie ihre
     Kunst auch betreiben mögen, angenommen worden ist.
    Als Herr van Tricasse und Rath Niklausse am Audenarder Thor ankamen, hielten sie es für angemessen, einen kleinen Bogen um
     den baufälligen Thurm zu machen. Man war doch nicht darüber sicher, was passiren konnte.
    »Ich glaube wirklich, daß er einstürzen wird, bemerkte Tricasse.
    – Ich glaube es auch, gestand Niklausse.
    – Wenn man ihn nämlich nicht stützt, fügte Tricasse hinzu, aber ob man ihn stützen soll, das ist eben die Frage.
    – Und diese Frage müssen wir erörtern«, schloß der Rath.
    Einige Augenblicke später langten die beiden Herren an der Thüre der Anstalt an.
    »Ist Doctor Ox zu sprechen?« fragten sie.
    Natürlich war Doctor Ox für die ersten Behörden der Stadt immer zu sprechen, sie wurden gebeten, näher zu treten, und befanden
     sich bald in dem Zimmer des berühmten Physiologen.
    Die beiden Notabeln hatten hier eine gute Zeit – es mochte eine Stunde sein – zu warten; zum ersten Mal in seinem Leben gab
     der Bürgermeister Zeichen von Ungeduld, und auch sein Begleiter fühlte sich nicht ganz frei von solchen Anwandlungen.
    Endlich trat Doctor Ox ein und entschuldigte sich, daß er die Herren so lange habe warten lassen;es sei ihm soeben der Plan zu einem Gasometer vorgelegt worden, an dem eine Verzweigung zu rectificiren gewesen wäre u. s.
     w.
    Uebrigens ginge Alles rüstig vorwärts, die für das Oxygen bestimmten

Weitere Kostenlose Bücher