Eine Idee des Doctor Ox
gefragt.
– Ich werde nicht verfehlen; auch gedenke ich meine Frau, unsere Tochter Suzel und die liebe Tatanémance hinzuführen, denen
ja schöne Musik über Alles geht.
– Fräulein Suzel wird also auch hinkommen? fragte der Rath.
– Gewiß, Niklausse.
– Dann wird mein Frantz jedenfalls zu denersten gehören, die heute Queue machen, erwiderte der Rath.
– Ein hitziger Bursche, Ihr Frantz, bemerkte der Bürgermeister in pedantischem Ton, ein sehr hitziger Kopf, Niklausse; Sie
werden ihn gut im Auge behalten müssen.
– Nun, er liebt, van Tricasse; er liebt die reizende Suzel.
– Er soll sie ja auch bekommen, Niklausse; von dem Augenblick an, wo wir uns über die Heirat verständigt haben, steht ihrer
Brautschaft nichts im Wege; was kann er mehr verlangen?
– Er verlangt auch nichts, van Tricasse; er verlangt durchaus gar nichts, der liebe Sohn. Ich will auch weiter nichts ausplaudern,
aber so viel weiß ich, er wird nicht der Letzte sein, der heute sein Billet vom Comptoir holt.
– Ach! die stürmische, feurige Jugend! rief der Bürgermeister in der Erinnerung an die eigene Vergangenheit lächelnd. Ja,
ja, wir sind auch einmal jung gewesen, mein lieber Rath. Wir haben auch geliebt und zu unserer Zeit Queue gemacht. Auf heute
Abend also, auf heute Abend! A propos, haben Sie auch gehört, daß dieser Fioravanti ein so großer Künstler sein soll? Was
für eine würdige Aufnahme hat man ihm in unseren Mauern zu Theil werden lassen! Er wird den Beifall der Quiquendonianer so
leicht nicht vergessen!«
Es handelte sich wirklich um den berühmten Tenoristen Fioravanti, der durch sein Genie, sein ausgezeichnetes Spiel und seine
herrliche, sympathische Stimme bei den Musikliebhabern der Stadt einen förmlichen Enthusiasmus hervorgerufen hatte.
Seit drei Wochen hatte Fioravanti sich ungeheureErfolge in den »Hugenotten« errungen. Der erste Act war nach dem Geschmack der Quiquendonianer im Zeitraum eines ganzen Abends
aufgeführt worden, und zwar in der ersten Woche eines Monats. Der Opernabend der zweiten Woche hatte dem Sänger durch seine
endlosen, in die Länge gezogenen Andantes eine entschiedene Ovation eingetragen, und dieser Erfolg war nur noch gestiegen,
als in der dritten Woche der dritte Act des Meyerbeer'schen Kunstwerks zur Darstellung gelangte. Heute aber sollte Fioravanti
im vierten Act auftreten, und vor einem ungeduldigen Publicum spielen. Ach! das Duett Raoul's und Valentinen's, dieser zweistimmige
Liebeshymnus in langgezogenen Seufzern, diese Stretta 3 , in der die Crescendo , die Stringendo , die Accelerando , die Piu crescendo sich folgten – all das langsam, compendiös, in getragenen Tönen gesungen! wie reizend!
Um vier Uhr war der Saal mit Zuschauern gefüllt, und Logen, Parterre und Orchester gedrängt voll. In den vorderen Reihen präsentirten
sich der Herr Bürgermeister van Tricasse, Frau van Tricasse, Fräulein Suzel und die liebenswürdige Tatanémance in einer Haube
mit apfelgrünen Schleifen; dann, nicht weit davon erblickte man den Rath Niklausse nebst Familie, den liebeglühenden Frantz
nicht zu vergessen. Auch die Familien des Arztes Custos, des Advocaten Schut, des großen Richters Honoré Syntax waren vertreten,
und an weiteren Notabilitäten der Stadt bemerkte man den Director der Versicherungsgesellschaft Norbert Soutman , dendicken Banquier Collaert, der für deutsche Musik schwärmte und sich selbst für eine Art Virtuosen hielt, den Steuereinnehmer
Rupp, den Director der Akademie, Jérôme Resh, den Civilcommissar, und noch so viele andere, daß wir die Geduld unserer Leser
in unverantwortlicher Weise auf die Probe stellen würden, wollten wir sie alle hier noch weiter aufzählen.
Gewöhnlich verhielten sich die Quiquendonianer, bis der Vorhang aufging, außerordentlich schweigsam und ruhig. Hier zog einer
seine Zeitung hervor und vertiefte sich in ihre Lectüre, dort wurden mit flüsternder Stimme einige Worte ausgetauscht, die
Ankommenden begaben sich so leise wie irgend thunlich auf ihre Plätze, und ab und zu richtete die männliche Jugend von Quiquendone
ihre matten halb erloschenen Blicke nach den Schönheiten auf der Galerie.
An diesem Abend aber hätte jeder Beobachter constatiren können, daß schon, ehe der Vorhang aufgezogen war, eine ganz ungewöhnliche
Lebhaftigkeit im Zuschauerraume herrschte; Leute, die sich sonst niemals rührten, drehten und wendeten sich hin und her, die
Fächer der Damen
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