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Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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daß es im Jahre 1175 unter dem Bürgermeister Ludwig van Tricasse begonnen, und erst Anno 1837 unter
     dem Bürgermeister Natalis van Tricasse beendet wurde. Siebenhundert Jahre waren von Anfang bis zum Beschluß des Bauwerks in's
     Land gegangen, und demzufolge hatte es sich der Architektur aller Epochen anbequemt. Aber trotz alledem war das Theater in
     Quiquendone ein schönes Gebäude, und seine romanischen Pfeiler und byzantinischen Gewölbe mußten sich zweifelsohne, von dem
     Oxyhydrogengas beleuchtet, vorzüglich ausnehmen.
    Es wurde so ziemlich Alles auf dem besagten Theater gegeben, mit Vorliebe aber Oper und besonders komische Oper. Hierbei muß
     jedoch bemerkt werden, daß die Componisten nie ihr Werk wieder erkannt hatten, so sehr wichen Musik und Handlung von dem ursprünglichen
     Sinn ab.
    Da in Quiquendone nichts schnell abgethan werden konnte, mußten sich auch die dramatischen Werke dem Temperament der ausführenden
     Künstler und Künstlerinnen fügen, und so war es, obgleich die Pforten des Kunsttempels um vier Uhr geöffnet und erst um zehn
     Uhr geschlossen wurden, bis jetzt noch nicht gelungen, mehr als zwei Acte in diesen sechs Stunden zur Aufführung zu bringen. Robert der Teufel , die Hugenotten oder Wilhelm Tell nahmen gewöhnlich drei Abende für ihre Darstellung in Anspruch, so langsam spielten sie sich ab. Die Vivaces wurden in einem Tempo wie Adagios genommen, die Allegros beeilten sich kaum mehr, und die Vierundsechzigstel-Noten wurden so langsam gespielt, wie etwa ganze Noten in andern Ländern.
     Die schnellsten, im Geschmack der Quiquendonianer ausgeführten Läufe verstiegen sich bis zum Rythmusdes Kirchengesangs. Die Triller erschlafften und wurden abgezirkelt, um das Ohr der Dilettanten nicht zu verletzen. Die Art
     und Weise dieser Musikaufführungen recht klar zu machen, möge folgendes Beispiel dienen: Die schnelle Melodie des Figaro bei
     seinem Erscheinen im ersten Act des Barbiers von Sevilla wurde nach No. 33 des Metronoms regulirt und dauerte volle achtundfünfzig Minuten, wenn nämlich der Schauspieler die gehörige
     Routine hatte.
    Begreiflicher Weise mußten die von auswärts kommenden Künstler sich dieser Methode anbequemen; da man sie indessen gut honorirte,
     wurde keine Klage laut, und sie folgten genau dem Bogen des Musikdirectors, der nie mehr als acht Taktschläge in der Minute
     ausführte.
    Welche Beifallsrufe wurden aber auch den Schauspielern zu Theil, wenn sie die Quiquendonianer in Entzücken versetzt hatten,
     ohne sie müde zu machen! Die Hände klatschten in ziemlich langen Zwischenpausen in einander, und wenn der erstaunte Saal zuweilen
     nicht unter den Bravos zusammenbrach, kam dies einzig daher, daß man im zwölften Jahrhundert nicht Stein und Cement im Fundament
     zu sparen pflegte. Die Zeitungen pflegten nach solchen Abenden von stürmischem Applaus und fanatischen Beifallsbezeugungen
     zu berichten.
    Um übrigens die enthusiastischen Flamänder-Naturen nicht zu sehr zu erhitzen, spielte das Theater jede Woche nur ein Mal,
     was den Schauspielern für die gründliche Erlernung ihrer Rollen zu gute kam und den Zuschauern ermöglichte, die dramatischen
     Meisterwerke besser zu verdauen.
    Gewöhnlich pflegten auswärtige Künstler mit demTheaterdirector in Quiquendone ein Engagement abzuschließen, wenn sie sich von ihren Strapazen auf anderen Bühnen erholen
     wollten, und Niemand dachte daran, daß in diese althergebrachten Gewohnheiten irgend eine Aenderung kommen könnte, als vierzehn
     Tage nach der Schut-Custos-Angelegenheit ein unerwarteter Fall die Bevölkerung von Quiquendone in neue Aufregung versetzte.
    Es war Sonnabend, der gewöhnliche Operntag; aber heute sollte die neue Beleuchtung noch nicht erprobt werden, wie man glauben
     könnte. Die Röhren mündeten zwar schon im Saale, aber aus den bereits angegebenen Gründen waren die Brenner noch nicht aufgesteckt,
     und so warfen heute nur die Kerzen des Kronleuchters ihr mildes Licht auf die zahlreichen Zuschauer, die sich im Theater versammelt
     hatten.
    Nachmittags um ein Uhr waren die Thüren für das Publicum geöffnet worden, und um drei Uhr hatte sich der Saal schon halb gefüllt,
     während noch eine lange Queue bis zum Ende des Saint-Ernuph-Platzes, wo sich die Apotheke von Josse Liefrinck befand, hinausreichte.
     Dieser Eifer ließ auf eine außergewöhnlich schöne Vorstellung schließen.
    »Gehen Sie heute in's Theater? hatte Rath Niklausse am Morgen den Bürgermeister

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