Eine Idee des Doctor Ox
war denn plötzlich mit ihm vorgegangen?
»Uebrigens kann die Stadt nicht länger die Beleuchtung entbehren, fügte Rath Niklausse hinzu.
– Eine Stadt, die seit acht- bis neunhundert Jahren ohne dieselbe fertig geworden ist ... meinte der Doctor in zweifelndem
Ton.
– Nur noch ein Grund mehr für unsere Behauptung, nahm der Bürgermeister wieder das Wort, indem er jede Sylbe nachdrücklich
betonte; andere Zeiten, andere Sitten! Der Fortschritt macht sich überall geltend, und wir gedenken nicht hinter unserer Zeit
zurückzubleiben. Wir erwarten bestimmt, daß unsere Stadt in einem Monat Beleuchtung hat, oder Sie werden für jeden Tag der
Verzögerung eine bedeutende Geldbuße erlegen. Was für unberechenbare Folgen könnte es z. B. haben, wenn sich in den finsteren
Gassen ein Streit entspänne!
– Gewiß! rief Niklausse, und es bedarf nur eines Funkens, um den Flamänder in Feuer zu bringen. Flamander, flamm an!
– A propos, fiel ihm der Bürgermeister in's Wort, der Commissar Passauf, das Oberhaupt der städtischen Polizei, hat uns von
einem Streit Mittheilung gemacht, der gestern Abend in Ihren Salons, Herr Doctor, stattgefunden haben soll. Wenn mir recht
berichtet ist, so hat es sich um eine politische Discussion gehandelt?
– Das kann ich allerdings nicht in Abrede stellen, Herr Bürgermeister, erwiderte Doctor Ox, der nur mit Mühe ein Lächeln der
Befriedigung unterdrücken konnte.
– So beruht also diese unangenehme Differenz zwischen dem Arzt Dominique Custos und dem Advocaten André Schut wirklich auf
Wahrheit?
– Ja, Herr Rath, aber die Ausdrücke, deren sich die Herren bedienten, hatten durchaus nichts Bedenkliches.
– Wie, nichts Bedenkliches? rief der Bürgermeister; Sie halten es nicht für bedenklich, wenn ein Mann dem andern in's Gesicht
sagt, er messe die Tragweite seiner Worte nicht ab? Aus was für einem Teig sind Sie denn gebacken, Herr, wenn Sie nicht wissen,
daß es in Quiquendone keines weiteren Anlasses bedarf, um die bedauerlichsten Folgen herbeizuführen? Ich kann Sie versichern,
Herr, wenn Sie oder sonst Jemand sich erlaubte, so mit mir zu sprechen ...
– Oder mit mir ...« fügte Rath Niklausse hinzu.
Als die beiden Notabeln ihrem Groll in diesen Worten Luft gemacht hatten, sahen sie dem Doctor Ox mit so drohender Miene und
emporsträubendem Haar in's Gesicht, als seien sie bereit, bei dem geringsten Widerspruch in Wort, Geberde oder Blick, ihm
übel mitzuspielen.
Aber der Doctor verzog keine Miene.
»Jedenfalls gedenke ich Sie für das, was in Ihrem Hause vorgeht, verantwortlich zu machen, nahm der Bürgermeister wieder das
Wort. Ich bürge für die Ruhe der Stadt Quiquendone und werde die ernstesten Maßregeln ergreifen, damit dieselbe nicht wieder
gestört wird. Dinge, wie sie gestern Abend in diesem Hause geschehen sind, werden in Zukunft nicht wieder vorkommen, ohne
daß von meiner Seite strenges Einschreiten erfolgt. Haben Sie mich verstanden? Aber so antworten Sie doch, Herr!«
Als der Bürgermeister so sprach, schwoll seine Stimme in zornigem Tonfall so an, daß man ihnvor dem Hause hätte vernehmen können. Als er sah, daß Doctor Ox nicht das Geringste auf seine Herausforderung erwiderte,
gerieth er vollends außer sich:
»Kommen Sie, Niklausse«, rief er wüthend, warf die Thüre mit einer Heftigkeit in's Schloß, daß das ganze Haus erdröhnte, und
zog den Rath mit sich fort.
Als die Herren einige zwanzig Schritt auf freiem Felde gemacht hatten, beruhigten sich allmälig ihre Nerven, ihr Schritt mäßigte
sich mehr und mehr, und die dunkle Zornesröthe auf ihren Wangen verwandelte sich wieder in das frühere matte Rosa.
Eine Viertelstunde nachdem sie die Anstalt verlassen hatten, wandte sich Tricasse zu seinem Rath und sagte mit sanfter, quiquendonianischer
Stimme:
»Wirklich ein liebenswürdiger Mensch, dieser Doctor Ox; ich muß gestehen, daß ich ihn immer mit dem größten Vergnügen besuche.«
Sechstes Capitel,
in dem Frantz Niklausse und Suzel van Tricasse Zukunftspläne schmieden.
Unsere Leser werden sich erinnern, daß der Bürgermeister van Tricasse eine Tochter, Fräulein Suzel, besaß; aber so scharfsichtig
sie auch sein mögen, gewiß haben sie nicht errathen, daß Rath Niklausse auch einen Sohn mit Namen Frantz hatte. Undselbst, wären sie auf diese Idee gekommen, so wüßten sie noch immer nicht die Hauptsache, nämlich, daß Frantz Suzel's Verlobter
war. Wir fügen dieser Mittheilung noch
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