Eine Idee macht noch keinen Roman
volle Programm: Größe, Haarfarbe, Augenfarbe, Schuhgröße, Statur, usw.
- Hintergrund : Wie und wo aufgewachsen? Sowohl geographisch als auch sozio-kulturell.
- Elternhaus : Vielleicht verprügelt worden oder doch glückliche Kindheit? Vielleicht adoptiert? Wenn ja, was ist mit den leiblichen Eltern passiert?
- Geschwister : Wenn ja, wie viele und wie alt sind die? Wie ist das Verhältnis zu denen damals gewesen und wie ist es heute?
- Intellektueller Hintergrund : Schule besucht? Abgebrochen? Welcher Abschluss? Lehre absolviert? Armee? Uni? Wenn ja, welches Studienfach? Warum? Warum nicht?
- Beruflicher Werdegang: Welcher Job ist gerade aktuell? (Sollte vielleicht ungefähr mit dem Punkt Schule und Uni zusammenhängen, muss aber nicht) Welche Jobs gab es bisher? Gefeuert worden? Gekündigt? Warum?
- Höhepunkte im Leben und Schicksalsschläge und wie wurde und wird damit umgegangen?
- Labertasche oder mundfaul
- Religion
- Vorlieben
- Hobbys
- Abneigungen
- Phobien
- Und so weiter und so fort.
Im besten Falle protokolliert man das komplette Leben des Charakters von der Geburt an bis zum Tag, an dem die Geschichte beginnt. Wer sich an sein eigenes Leben erinnert, je nachdem wie lang und ereignisreich es bisher war, merkt, dass das Ganze gerne mal zehn Seiten lang werden kann. Pro Charakter versteht sich.
Wie man das jetzt im Einzelnen macht, ist sehr unterschiedlich. Bei manchen seltenen Autoren spielt sich dieser ganze Prozess im Kopf ab, andere schreiben es sehr detailliert auf. Ich persönlich rate von Ersterem ab, sofern man kein eidetisches Gedächtnis hat, weil man auf diese Weise früher oder später Details vergisst oder sie durcheinander bringt, aber das ist jedem selbst überlassen, wichtig ist, dass man es macht.
Wieder andere führen Interviews mit ihren Charakteren und nehmen das dann auf. Inklusive verstellter Stimme. Da so etwas gerne mal zu intensiven Selbstgesprächen führen kann, sollte man diese Vorgehensweise dem Lebenspartner dann vielleicht vorher ankündigen.
Egal wie man es nun macht: Wenn man diese Charaktere nun erstellt hat und sie halbwegs ausgefeilt existieren, dann passiert beim Schreiben etwas, das ganz interessant ist. Man weiß nämlich sofort, wie die Person regieren würde, wie sie redet, wie sie sich verhält, wie die Körpersprache ist, usw.
Das Ergebnis dieser Charakterisierung kann und soll man natürlich nicht komplett im Roman verbraten. Maximal 10-20 Prozent von dem, was man sich überlegt hat, kann man guten Gewissens mit in die Geschichte einbringen, sofern das nicht eine Psychoanalyse werden soll. Aber: Je ausführlicher dieser Charakter existiert, desto leichter fällt einem der Umgang mit dieser Person und das Schreiben über sie.
Es ist zum Beispiel nicht notwendig zu erwähnen, dass Paul im Alter von sechs Jahren von einem Pferd fast totgetrampelt wurde und deshalb ein recht distanziertes Verhältnis zu diesen Tieren hat, wenn in der Geschichte überhaupt keine Pferde vorkommen. Da sich solche Erlebnisse aber auch auf andere Bereiche des Lebens auswirken, kann es nicht schaden, als Autor über diesen Vorfall Bescheid zu wissen. Wie detailliert man die jeweilige Lebensgeschichte der Charaktere mit in den Roman einfließen lässt, ist natürlich sehr unterschiedlich.
Ich persönlich bin zum Beispiel ein Freund davon, die Charaktere nicht übermäßig stark zu beschreiben, was ihr Äußeres angeht, sondern überlasse es dem potenziellen Leser, sich ein Bild zu machen. Ich habe zwar von jedem Charakter, der in meinen Bücher herumläuft, ein klares Bild vor Augen, aber aufschreiben tue ich das sehr selten. Beispielsweise hat Marc, einer der Antagonisten in Wahre Helden , blonde Haare. Das wird nicht ein Mal erwähnt, aber ich weiß es ganz genau.
Wie viele dieser Details man im Roman niederschreibt, ist also eine Frage, die jeder für sich selbst entscheiden muss. Es sollte natürlich nicht so weit gehen, dass überhaupt nicht klar wird, wie die Person, um die es gerade geht, aussieht. Ein paar Andeutungen sind da schon angebracht. Aber auch das ist jedem selbst überlassen.
Diese Arbeit mögen viele jetzt als Zeitverschwendung ansehen, weil man ja 90 Prozent der Infos, die man sich ausgedacht hat, gar nicht in der Geschichte erwähnen wird.
Man muss sich das ungefähr so vorstellen wie einem Lehrer. Um jemandem in der Schule das Thema Bruchrechnung nahezubringen, muss man als Lehrer über deutlich mehr Bescheid wissen, als nur über dieses eine
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