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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Zapperi
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betrat die Villa Borghese, den wundervollen Park mit den vielen hohen Bäumen, in dem es mir so gut gefiel, dass ich öfter wiederkam. Bereits Goethe hatte während seines römischen Aufenthalts die Villa Borghese häufig aufgesucht und auf einer schattigen Wiese unter den Bäumen sogar eine Szene des
Faust
geschrieben. Aber davon hatte ich damals natürlich noch keine Ahnung.
    Die Beziehungen zum Onkel waren nicht völlig abgebrochen. Nach einiger Zeit versöhnte sich meine Mutter wieder mit ihrem Bruder und schickte mich, um mich die Ohrfeige vergessen zu lassen, unter irgendwelchen Vorwänden manchmal zu ihm. Seine Wohnung lag sehr weit von der unseren entfernt, so dass ich mit dem Fahrrad die ganze Stadt von der Porta Pia bis zur Porta Ostiense, dem alten römischen Stadttor, durchqueren musste, um zu ihm zu gelangen. Auf diese Weise bekam ich jedoch Gelegenheit, mich in der Stadt umzusehen und sie besser kennen zu lernen. Bei diesen langen Fahrten fielen mir die charakteristischen «Sanpietrini» auf, die kleinen, schwarzen Pflastersteine mit ihrer pyramidalen Form, die mit der Spitze in den Boden gerammt sind und deren Name sich wahrscheinlich von Sankt Peter herleitet. Neu waren für mich auch die großen Straßenbahnen, die manchmal sogar Anhänger hatten. Ich fuhr an vielen Kirchen mit ihren Portiken, Loggien und reichgeschmückten Fassaden vorbei und staunte über die feierlichen Kuppeln Roms, die großen sprudelnden Brunnen mit den flachen, ovalen oder muschelförmigen Becken und die typisch ockerfarbenen Häuser und Paläste. Auchüber die von Mussolini neuangelegte Straße zwischen den antiken Foren fuhr ich und kam am Kolosseum vorbei, wenn ich den Onkel besuchen fuhr.
    Im Laufe meiner Streifzüge stieß ich manchmal auf Patrouillen, die merkwürdige kakifarbene Uniformen und Tropenhelme auf dem Kopf trugen. Ich fragte meinen Vater, was es mit ihnen auf sich habe. Er erklärte mir, dass es sich um die P.A.I. handele, die «Polizei des italienischen Afrikas», die dazu angeworben und ausgebildet worden war, um in den afrikanischen Kolonien Italiens Ordnung zu halten. Der plötzliche Ausbruch des Kriegs hatte indessen ihre Entsendung verhindert, und so benutzte man sie jetzt als Hilfspolizei in Rom. Ich muss gestehen, dass sie mir in ihrer seltsamen Aufmachung einen gewissen Eindruck machten, denn sie erinnerten mich an unseren Hauswart in Catania, der ähnlich gekleidet in den äthiopischen Krieg gezogen war.
    In Rom kehrte ich nach den langen toskanischen Ferien auch wieder in die Schule zurück. Sie lag ziemlich weit von unserer Wohnung entfernt, und der Weg dorthin zu Fuß war lang. Ich fühlte mich in dieser Schule nicht glücklich. Meine Klassenkameraden waren kalt und abweisend. Sie lehnten mich als Flüchtling ab, und die Klassenlehrerin tat nichts, um sie anzuhalten, mich in ihrer Mitte aufzunehmen. Dementsprechend waren meine Leistungen während des ganzen Schuljahrs schwach. Der einzige Klassenkamerad, mit dem ich mich anfreundete, war wie ich ein Flüchtling aus Sizilien. Dies war für mich eine schmerzhafte Notlösung, zu der die Lage mich zwang. Zum Glück war es ein gutmütiger und sympathischer Junge, der mich auch zu Hause besuchen kam. Wir machten Schulaufgaben zusammen, öfter aber noch spielten wir.
    Der Bruch mit meinem Onkel versetzte meinen Vater in eine missliche Lage. Seine Geschäfte liefen schlecht, und er wusste nicht, wie er seine vielköpfige Familie ernähren und über die Runden bringen sollte. Da erinnerte er sich daran, dass er im vergangenen Frühjahr bei seinem Freund, dem Fabrikanten von Lucca, einen Güterwagen mit der üblichen Ware (ich glaube, es war Seife) bestellt hatte, die er nach Sardinien verkauft hatte. Dieser Waggon war verschollen; mein Vater hatte weder Nachricht von der Ankunft der Ware noch eine Bezahlung dafür erhalten. So kam ihm der Verdacht, dass die Ware nicht in Civitavecchia aufs Schiff verladen worden und der Waggon in Rom steckengeblieben war. Deshalb kam er auf die Idee, ihn im Güterbahnhof San Lorenzo zu suchen, wo die Eisenbahngesellschaft gewöhnlich die Güterwagen abstellte. Wunderbarerweise gelang es ihm, ihn dort wiederzufinden. Er legte die Papiere vor, die bewiesen, dass die Ware ihm gehörte, und konnte sie nun in Rom angesichts der vom Verkehrschaos bewirkten Knappheit zu einem sehr viel höheren Preis verkaufen. Der Erlös belief sich auf die damals sehr ansehnliche Summe von zwanzigtausend Lire. Mein Vater war so begeistert

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