Eine italienische Kindheit
waren sie von Süden gekommen und auf dem Weg nach Norden. Möglicherweise waren sie von der Front bei Cassino abgezogen worden, um auf einem der vielen europäischen Kriegsschauplätze eingesetzt zu werden, die wichtiger waren als der italienische. Die Panzer waren von gewaltiger Größe, noch nie hatte ich solche Monster gesehen. Sie boten mir ein schönes Beispiel für die Militärmacht der Deutschen. Aus den drehbaren Türmchen ragten die Köpfe der Panzersoldaten mit den Ohrenschützern hervor. Ein Offizier brüllte Befehle hinauf, und kurz danach entfernten sich die Panzer wieder unter dem Gerassel ihrer Ketten. Wahrscheinlich fuhren sie zum Güterbahnhof San Lorenzo, um dort auf einen Güterzug geladen zu werden, der sie über die Alpen bringen sollte. Die Bahnstrecken nach Norden waren noch nicht völlig unterbrochen,obwohl die Anglo-Amerikaner sie ständig bombardierten.
Bald stellte sich heraus, dass das Zusammenleben mit unseren Verwandten unmöglich war. Der Onkel und die Tante hatten keine Kinder und ertrugen die vielen Kinder in ihrer Wohnung nicht. Einmal hielt mir mein Onkel eine wütende Standpauke über die Notwendigkeit der Disziplin, die nach seinen Vorstellungen geradezu militärisch zu sein hatte. Ich antwortete so frech, dass er mir eine Ohrfeige gab. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Meine Mutter machte ein Höllengezeter, so dass mein Vater bei seiner Rückkehr aus dem Norden gezwungen war, uns eiligst eine neue Bleibe zu suchen. Er war selbst unzufrieden mit der Zusammenarbeit mit dem Schwager, dem, wie sich zeigte, die nötigen Kompetenzen fehlten. Noch im gleichen Oktober zogen wir deshalb in eine Wohnung in der Via Alessandria auf der anderen Seite der Stadt um. Auch diesmal mussten wir sie mit jemand anderem teilen. Der Mieter der Wohnung war ein junger Mann aus Catania, Sohn eines Importeurs von Zitrusfrüchten, wie es mein Onkel war, den die Unterbrechung der Bahnverbindungen mit dem Süden in Rom festgehalten hatte. Er war ein freundlicher Mensch, überließ uns zwei Räume und zog sich in ein Zimmer zurück; gemeinsam benutzten wir nur die Küche und das geräumige Esszimmer. In diesem gab unser Hausherr eines Abends ein Fest mit Tanz, und ich, der ich mich wie immer dazwischendrängelte, konnte feststellen, dass in Rom das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zwar nicht so locker war wie bei den toskanischen Bauern, aber doch lange nicht so verklemmt wie in Sizilien.
Von der Via Alessandria war es nicht weit zur Porta Pia, demzinnenbesetzten Stadttor, das Michelangelo gegen Ende seines Lebens geschaffen hatte. Auf dem Platz davor steht das Bersagliere-Denkmal, das an die Bresche in der Stadtmauer erinnert, durch welche am 20. September 1870 die italienischen Truppen eindrangen, um Rom von der päpstlichen Herrschaft zu befreien und zur Hauptstadt Italiens zu machen. Dieses Ereignis war die Folge des lange erwarteten preußischen Siegs über das Frankreich Napoleons III., das die Schutzherrschaft über den Kirchenstaat übernommen hatte, um die Vereinigung Roms mit Italien zu verhindern. Die Bersaglieri waren ein altes piemontesisches Infanteriekorps, das 1861 dem italienischen Heer eingegliedert wurde. Es handelte sich um Sturmtruppen, deren Helme noch heute mit den charakteristischen Hahnenfedern geschmückt sind. Bei Militärparaden pflegen sie, angeführt von einem blasenden Trompeter, mit ihrem typischen Laufschritt aufzutreten. Das Denkmal mit dem hohen Sockel zeigt denn auch einen Bersagliere, der zum Sturm ansetzt.
Auf den breiten Treppenstufen zu seinen Füßen pflegten sich nachmittags die Jungen des Viertels zu versammeln, um zu spielen. Ich fand diesen Versammlungsort schnell und ging auch dorthin, in der Hoffnung, mitspielen zu können. Doch war es nicht leicht, zugelassen zu werden, denn die römischen Jungen waren sehr hochnäsig, und als sie hörten, dass ich ein Flüchtling aus Sizilien war, behandelten sie mich ganz von oben herab. Die Integration in eine Gruppe von Gleichaltrigen war auch weiterhin schwierig für mich, denn trotz der jahrtausendealten kosmopolitischen Traditionen Roms ist die römische Gesellschaft doch seit eh und je in geschlossene und fast undurchlässige Zirkel eingeteilt. Nach meinem Misserfolg bei den Jungen am Bersagliere-Denkmalstreifte ich oft ziellos in den Straßen herum. So lief ich eines Tages über die Allee, die vom Denkmal aus die alten römischen Stadtmauern entlang bis zur Porta Pinciana führt, und
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