Eine italienische Kindheit
über diesen Erfolg, dass er jubelnd nach Hause kam und die zwanzig Tausenderscheine vor unseren bewundernden Augen auf den Tisch im Wohnzimmer blätterte. Mit diesem Gewinn konnte er seinen Handel mit Industrieprodukten wiederaufnehmen und aufs neue Geld verdienen.
Als erstes fand er eine größere Wohnung für uns – und diesmal für uns allein – in der Via Morichini nahe dem Piazzale delle Provincie. Es war allerdings etwas riskant, in diese Gegend zu ziehen, denn die von meinem Vater Ende November oder Anfang Dezember 1943 gemietete Wohnung lagaußerhalb des von den antiken Mauern umgebenen Zentrums. Diese Wohnung gehörte einem Staatsbeamten, der den Großteil seiner Möbel in einem Zimmer abgestellt hatte und die anderen Zimmer mit ein paar Möbeln an uns vermietete. Er wollte nach Norditalien übersiedeln, wo sich die neue Faschistische Republik mit Sitz in Salò am Gardasee unter dem Schutz der deutschen Besatzung eingerichtet hatte.
«Fliegende Festungen» über Rom
Bereits am 19. Juli 1943 war Rom schwer bombardiertworden, was enorme Bestürzung ausgelöst hatte. Mehr als fünfhundert «Fliegende Festungen» hatten, begleitet von Jagdgeschwadern, gut tausend Tonnen Bomben über der Stadt abgeworfen und erhebliche Schäden angerichtet. Das Ziel war vor allem der Güterbahnhof gewesen, der in der Nähe des Piazzale delle Provincie lag. Der Angriff kostete mehr als tausend Zivilpersonen das Leben, verheerend getroffen wurde auch die alte Basilika San Lorenzo fuori le Mura, eines der bedeutendsten Denkmäler des frühchristlichen Roms. Alle Zeitungen hatten von diesem schrecklichen Ereignis berichtet und dazu ein Foto von Papst Pius XII. gezeigt, der herbeigeeilt war, um den Überlebenden Trost zu spenden. Das Foto zeigt den Papst, wie immer weiß gekleidet, mit ausgebreiteten Armen zwischen denTrümmern. Auf ihm ruhten nun alle Hoffnungen der Römer. Die Brutalität dieses Bombenangriffs hatte der päpstlichen Diplomatie Anlass gegeben, die Verhandlungen über die Neutralität Roms voranzutreiben. Es gelang zwar nicht, einen formellen Vertrag abzuschließen, aber die Amerikaner machten weitgehende Zusicherungen, dass sie nicht nur die Vatikanstadt, sondern auch alle Besitzungen des Heiligen Stuhls in Rom respektieren wollten. Tatsächlich wurde das Zentrum bei den Bombenangriffen regelmäßig verschont. Der Inhalt dieser Abmachungen war in der Öffentlichkeit nicht genauer bekannt. Man wusste zwar, dass Rom «offene Stadt» war, aber nicht, wie weit dieser Schutz gehen sollte. Es bestand der begründete Verdacht, dass nur die Stadtmitte, nicht aber die anderen Viertel von Bomben verschont bleiben sollten. Deshalb war es ein ernsthaftes Risiko, in dieses Viertel zu ziehen, aber bei der entstandenen Lage auch fast unmöglich, eine Wohnung im Zentrum zu finden. Die Wohnungsagenturen hatten meinem Vater nur diese Wohnung angeboten, und so blieb ihm trotz aller möglichen Gefahren wohl gar nichts anderes übrig als zuzugreifen. Inzwischen hatte sich die Lage immer mehr verdüstert, denn die neue Faschistische Republik begann ein Heer aufzustellen, um an der Seite der Deutschen in Italien zu kämpfen.
Die Basilika San Lorenzo nach der amerikanischen Bombardierung
Schon im Herbst 1943 waren die ersten Aufrufe für die Musterungen ergangen. Rom war die Stadt mit der größten Anzahl von Wehrdienstverweigerern in ganz Italien. Nur sehr wenige Wehrpflichtige hatten sich gemeldet, die meisten sich versteckt, und dies provozierte Zwangsmaßnahmen, bei denen nicht allzu viel auf das Alter geachtet wurde. Mein Vater war im Oktober 1903 geboren und gerade vierzig geworden. Dennoch glaubte er sich in Gefahr. Da er sichschlecht verstecken konnte, sondern wegen seiner Geschäfte frei herumlaufen, wenn nicht sogar reisen musste, fürchtete er, auf der Straße angehalten zu werden oder einer Razzia zum Opfer zu fallen, um irgendwohin verschickt, möglicherweisesogar zur Zwangsarbeit verurteilt zu werden. In der Tat wurden solche großen Razzien öfter durchgeführt, um Arbeitskräfte für die deutsche Industrie zu beschaffen. So sperrten zum Beispiel am 1. Februar 1944 deutsche Soldaten die Via Nazionale ab und nahmen an die zweitausend arbeitsfähige Männer fest, die sich gerade auf der Straße befanden. Sie wurden in die Macao-Kaserne gebracht, um von dort aus zur Arbeit auf verschiedene Orte verteilt zu werden. Um solchen Razzien zu entgehen, versuchte mein Vater, sich ein älteres Aussehen zu geben, indem er sich
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