Eine italienische Kindheit
ein Heer, das auf der Seite der Deutschen kämpfen sollte. Jetzt erst begann die härteste Phase des Kriegs, der direkte Zusammenstoß zwischen den zahlreich in Italien eingefallenen deutschen Streitkräften und den Anglo-Amerikanern, die am 10. Juli in Sizilien, am 3. September in Kalabrien gelandet waren und die Halbinsel von Süden her aufzurollen begannen.
Römer schlagen faschistische Symbole von öffentlichen Gebäuden ab
Eines schönen Tages schlug plötzlich eine deutsche Truppe auf dem Weg nach Süden ihr Lager ganz in der Nähe unseres Dorfs auf. Als sich die Nachricht verbreitete, dass die Deutschen gekommen waren, lief ich sofort dorthin. Es war Abend, und ich sah, dass sie ihre Zelte aufgebaut hatten, vor denen Köche im Freien die Suppe kochten und in große Behälter füllten. Sie waren sehr geschäftig, um das Abendessen vorzubereiten. Es hatte geregnet, und um ihnen so nahe wie möglich zu kommen, schob ich einige nasse Zweige eines Strauchs beiseite und genoss das Schauspiel. Die Köche merkten, dass ein Junge sie beobachtete, aber sie waren zu konzentriert, um sich bei der Arbeit stören zu lassen. Am nächsten Morgen kehrte ich früh an den Lagerplatz zurück und musste feststellen, dass die Deutschen verschwunden waren, weitergefahren auf ihren großen Lastwagen, die ich am Abend zuvor erspäht hatte. Ich hörte nichts mehr von ihnen.
Mein Vater war in jenen Monaten wegen seiner Geschäfte mehrmals in Rom gewesen und hatte erfahren, dass Rom wegen der Präsenz des Vatikans zur «offenen Stadt» erklärt worden war. Deshalb glaubte er, dass es dort sicherer sein würde als auf dem Land in der Umgebung von Lucca. Nur wenige Kilometer vom Dorf entfernt lag nämlich ein Flughafen, in dem sich deutsche Soldaten einquartiert hatten. Er hielt es aus diesem Grund für zu gefährlich, noch länger in Antraccoli zu bleiben. In Rom hatte er Verbindung zu einem Bruder meiner Mutter aufgenommen, der bereit war, die ganze Familie bei sich aufzunehmen. Mein Vater machte den Fehler, das Angebot anzunehmen. Er hatte nie gute Beziehungen zu diesem Schwager gehabt und solche konnten sich schwerlich nun einstellen – selbst nicht unter dem Druck der durch den Krieg entstandenen Notlage.
5. Rom
Im Oktober 1943 verließen wir die Toskana und fuhren nach Rom, um uns beim Onkel einzuquartieren. Er wohnte in einer Nebenstraße der Via Ostiense in der Nähe des Großmarkts, des Zentrums seiner Aktivitäten. Im eigenen und im Namen seiner Brüder führte er seit einigen Jahren in Rom eine Firma zur Vermarktung von sizilianischen Zitrusfrüchten. Da aber der Krieg die Verkehrswege nach Sizilien unterbrochen hatte, musste er sich damit behelfen, Obst und Gemüse aus Norditalien, wo sie in Menge produziert wurden, nach Rom zu importieren. Doch der Onkel kannte diese Märkte schlecht und hatte meinen Vater um Hilfe gebeten, der sich dort oben etwas besser auskannte, allerdings nicht auf diesem speziellen Gebiet. Mein Vater gründete deshalb zusammen mit seinem Schwager eine Handelsgesellschaft und fuhr nach Verona, um dort einzukaufen.
In den ersten Tagen unseres römischen Aufenthalts erfuhr meine Mutter, dass in der Nähe unserer Wohnung Leute dabei waren, ein Proviantlager des aufgelösten italienischen Heers zu plündern. Sie lief mit uns drei Brüdern ebenfalls dorthin, um etwas zu essen zu ergattern. Die Lebensmittel begannen knapp zu werden in Rom, und eine solche Gelegenheit durfte nicht verpasst werden, zumal alles gratis war. Doch als wir gerade etwas zusammenrafften, erschienen zwei deutsche Soldaten, sahen, was da vor sich ging, zogendie Pistole und gaben drei Schüsse in die Luft ab. Unser Schrecken war so groß, dass wir eiligst davonliefen, während andere sich nicht stören ließen und unbeeindruckt weitermachten. Die Deutschen entfernten sich dann wieder. Offenbar war die Lage dieses Proviantlagers der deutschen Stadtverwaltung unbekannt geblieben, denn sonst hätte sie es sicher beschlagnahmt, um die Plünderung durch die Bevölkerung zu verhindern. Aber noch herrschte Chaos wegen des Machtvakuums, das durch die Auflösung des italienischen Heers entstanden war, und die deutschen Besatzer waren noch nicht in der Lage, alle Ressourcen der Stadt zu kontrollieren.
Als ich eines Tages in unserem Viertel herumstreifte, um meine neue Umgebung zu erkunden, sah ich plötzlich gut zwanzig deutsche Panzer, die sich in einer Reihe längs der Via Ostiense neben dem Bürgersteig aufgestellt hatten. Anscheinend
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