Eine italienische Kindheit
einen Bart wachsen ließ. Mit diesem Bart, den er weder vorher noch nachher je getragen hat, zeigt ihn ein Foto, das auf Januar 1944 datiert ist. Im Hintergrund sieht man zwei Offiziere des neuen faschistischen Heers, nach denen sich die beiden Frauen vor ihnen ängstlich und besorgt umsehen. Ein dritter männlicher Passant tut so, als ob nichts wäre, sicher aber hatte er noch mehr Angst als die beiden Frauen. Mein Vater knöpft sich auf dem Foto gerade den Mantel zu und scheint die beiden Offiziere hinter ihm gar nicht bemerkt zu haben. Es ist schon eine seltsame Ironie, dass er gerade jetzt, als er den Bart trug, in besonderer Gefahr war. Zum Glück geschah ihm nichts, weder damals noch später. Es gelang ihm, ohne Schaden die letzten Kriegsjahre zu überstehen.
Mein Vater mit Bart
Die häufigen Razzien führten nicht selten zu wahren Volksaufständen wie etwa zu jenem am 2. März 1944 im Viertel Prati, wo an die hundert bei einer Razzia festgenommene Personen in einer der Kasernen dort eingesperrt worden waren. Eine große Menge Frauen versammelte sich vor der Kaserne und forderte die Freilassung ihrer gefangenen Angehörigen. Es kam zum Handgemenge, bei dem eine der Frauen durch den Schuss eines deutschen Soldaten getötetwurde. Die Antwort des römischen Widerstands ließ nicht auf sich warten, noch am gleichen Tag wurde nachmittags ein italienischer Offizier der republikanischen Nationalgarde, einer faschistischen Formation, von der Partisanin Marisa Musu erschossen. Die Resistenza war in Rom besonders in den proletarischen Vororten verbreitet, in Quadraro, Quarticciolo, Tor Pignattara und Centocelle, alle um die Via Tuscolana herum gelegen, die eine wichtige Verbindungsstraße zur Front im Süden darstellte. Eine legendäre Figur des römischen Widerstands war Giuseppe Albanese, der wegen einer körperlichen Behinderung «der Bucklige vom Quarticciolo» genannt wurde. Diesen legendären Ruf hatte er sich dadurch erworben, dass er den Deutschen Proviant zu stehlen pflegte, um die Lebensmittel dann an die Bewohner dieser Vororte zu verteilen. Er war auch sehr geschickt und wendig im Kampf gegen die deutschen Besatzer und tötete nicht wenige von ihnen aus waghalsigen Hinterhalten heraus.
Im Februar 1944 bombardierten die Amerikaner Rom aufs neue, diesmal besonders das Viertel, in dem wir nun wohnten. Ein Geschwader von «Fliegenden Festungen» (B-24 ihr offizieller Name) lud mehrere Tonnen Bomben ab und verschwand wieder. Die Amerikaner hatten erfahren, dass ungeachtet der Vereinbarungen über die Neutralität Roms die Deutschen die Stadt besetzt hatten – man sah sie sogar auf dem Petersplatz herumlaufen. Deshalb versuchten sie, den Feind in Rom, seiner bequemen Etappe vor der Front, zu treffen. Die Deutschen hatten sich in Cassino am Monte Cairo gegenüber dem alten Benediktinerkloster verschanzt, von wo aus sie dem Vormarsch der Alliierten hartnäckigen Widerstand entgegensetzten und ihn monatelang aufhielten.Mein Vater hatte damals seine Geschäftsreisen in die Toskana, vor allem nach Florenz, wiederaufgenommen, doch als er sah, dass wir wie in Sizilien wieder der akuten Gefahr amerikanischer Bombenangriffe ausgesetzt waren, brachte er uns eiligst ins Zentrum von Rom. Er fand aber so schnell keine Wohnung und mietete uns vorläufig im Hotel Corso am Largo Chigi ein, in unmittelbarer Nähe des alten Regierungssitzes. Hier hatte er zwei Zimmer für uns reserviert, in denen wir uns recht und schlecht einrichteten. Doch der Aufenthalt im Hotel verlängerte sich von Woche zu Woche, so dass meine Mutter große Mühe hatte, für unser Essen und unsere Reinlichkeit zu sorgen. Sie kochte auf einem elektrischen Kocher, aber das Geschirr abzuwaschen und uns sauber zu halten war ihr fast unmöglich. Deshalb hatte sie beschlossen, uns drei Brüder jeden Nachmittag in unserealte Wohnung zu schicken, um zu spülen und zu waschen, während die beiden jüngeren Schwestern bei ihr blieben. Mein ältester Bruder Clelio war damals achtzehn Jahre alt, aber er war von schwacher Gesundheit. Der mittlere, Arturo, war fünfzehn und stark und gesund, so dass meine Mutter vor allem auf seine Hilfe vertraute, denn ich selbst war ja noch nicht alt genug, um wirklich eine Stütze zu sein. So fuhren wir drei jeden Tag in unsere Wohnung zurück, um die häuslichen Angelegenheiten zu besorgen. Meine Mutter wusste, dass die Amerikaner immer am Vormittag bombardierten, deshalb schickte sie uns erst am frühen Nachmittag dorthin. Eine
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