Eine italienische Kindheit
Geschäftsgängen durch die Stadt oft mitnahm. Dabei kamen wir einmal am Largo Tritone vorbei, als einige Leute angerannt kamen und uns zuriefen, dass ganz in der Nähedie Deutschen dabei seien, eine Razzia durchzuführen. Wir liefen hinter ihnen her und flüchteten in den Straßentunnel unter dem Quirinalshügel, der den Largo Tritone mit der Via Nazionale verbindet. Während des Kriegs war der Tunnel auf beiden Seiten bis auf zwei kleine Öffnungen zugemauert worden, um als Luftschutzbunker zu dienen. Er war voller Menschen, darunter viele Flüchtlinge, die sich darin niedergelassen hatten und fest hier lebten. Wir setzten uns auf eine der Bänke längs der Wände, bis die Gefahr vorbei war und wir über den Ausgang zur Via Nazionale wieder unsere Wohnung erreichen konnten.
Erst später, erst nach dem Krieg, wurde mir klar, welch großer Gefahr wir damals entgangen waren, als es uns gelang, heil nach Hause zu kommen. In der nahen Via Rasella hatte am 23. März 1944 eine Gruppe von kommunistischen Partisanen ein Attentat verübt. Als Müllmänner verkleidet, hatten zwei von ihnen einen Karren voller Sprengstoff unter dem Müll vor sich hergeschoben und, als eine deutsche Kompanie vorbeimarschierte, die Lunte gezündet. Nach der großen Explosion, die mehrere Opfer forderte, kamen vier weitere Partisanen die Straße heruntergerannt und griffen mit Maschinengewehren und Granaten die Nachhut der Kompanie an, die bis kurz vor dem Straßentunnel mit heiler Haut davongekommen war. Das Attentat kostete 33 Südtirolern das Leben. Sie gehörten zum neuen Polizeiregiment «Bozen», das in Rom zur Aufsicht und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eingesetzt werden sollte. Die Polizisten waren noch in der Ausbildung, was das Attentat erleichterte. Die Kompanie marschierte nämlich in aller Öffentlichkeit jeden Tag auf dem gleichen Weg unter dem Absingen von Kriegsliedern von ihrer Kaserne beim CastroPretorio bis zum Ausbildungsort, dem Schießplatz in Tor di Quinto an der Via Flaminia im Norden der Stadt. Deshalb kam sie täglich auch über die Via Rasella, eine enge abschüssige Straße, die am Tunnel endete. Das Attentat richtete ein fürchterliches Gemetzel an, die Aufreihung der Toten auf dem Pflaster der Via Rasella war ein schrecklicher Anblick.
Via Rasella nach dem Attentat
Die deutsche Reaktion auf den Anschlag war gnadenlos. General Kurt Mälzer, der Oberkommandierende in Rom, eilte auf die Nachricht sofort zum Ort des Attentats, geriet außer sich vor Zorn und drohte, das ganze Viertel in die Luft sprengen und alle Bewohner und zufälligen Passanten ohne Ausnahme von Frauen, Kindern und Alten erschießen zu lassen. Schnell war auch die SS zur Stelle und verhaftete mit der Unterstützung der «Decima MAS», einer der gewalttätigstenfaschistischen Militärbrigaden, wen sie gerade in den Wohnungen und Geschäften fand. Alle verhafteten Zivilisten wurden vor den Läufen der Gewehre beim Palazzo Barberini zusammengetrieben. Mälzers direkter Vorgesetzter in der deutschen Heeresführung in Italien, General Eberhard von Mackensen, befahl, ohne Verzug eine denkwürdige Vergeltungsaktion durchzuführen. Für jeden getöteten Südtiroler sollten zehn Italiener, ausgewählt unter denen, die schon in deutscher Haft waren, erschossen werden.
So kam es, dass am 24. März 1944 in den «Fosse Ardeatine», den Tuffsteinhöhlen an der Via Ardeatina im Süden der Stadt, 335 Personen hingemordet wurden, sogar fünf mehr, als die Proportion erfordert hätte. Die ganze Operation wurde vom SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler organisiert und durchgeführt. Die Opfer kamen aus dem von den Deutschen kontrollierten Teil des Gefängnisses «Regina Coeli» und dem berüchtigten Kerker in der Via Tasso, welcher der Gestapo unterstand. Unter ihnen befand sich kein einziger Attentäter und nur wenige Widerstandskämpfer. Die meisten waren einfache Bürger, die nichts mit der Resistenza zu tun hatten, wie 75 Juden, ein paar Taschendiebe und andere, die aus den verschiedensten Gründen in die Hände der Deutschen gefallen waren, darunter sogar ein Geistlicher, Don Pietro Pappagallo, und ein paar Minderjährige. Die Exekution erfolgte auf bestialische Weise, jeder einzelne wurde kaltblütig in den Höhlen mit einem Schuss in den Nacken getötet. Hervorzuheben ist, dass das deutsche Kommando die Schuldigen auf keine Weise aufforderte, sich zu stellen. Es ging den Deutschen gar nicht um die Bestrafung der wahren Attentäter,
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