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Eine Katze im Wolfspelz

Eine Katze im Wolfspelz

Titel: Eine Katze im Wolfspelz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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möglich zu machen.
    Dann ging ich zum Fenster und sah hinaus. Es war wirklich erstaunlich: Es war immer noch taghell. Ich hatte heute bereits meinen Job verloren, eine Rolle in einem Stück angeboten bekommen und herausgefunden, daß jemand versucht hatte, Tony umzubringen - und es war immer noch taghell. Irgendwie wollte mir das nicht so recht einleuchten.

15
    Den folgenden Vormittag verbrachte ich damit, Tony zu pflegen, Sophokles’ Philoktet zu lesen - ich besaß eine ziemlich zerfledderte, alte Taschenbuchausgabe des Stücks in einer vermutlich recht altertümlichen Übersetzung - und mit großer Bitterkeit über Judy Mizener und Retro nachzudenken, darüber, daß sie mich davon ausgeschlossen hatten, dabei zu helfen, daß siebzehn ermordete Seelen in Frieden ruhen konnten. Es war wirklich merkwürdig, daß auch die geringsten Spuren, mit denen ich Retros Computer gefüttert hatte, um sie zu überprüfen, nur dazu gedient hatten, die gesamte Belegschaft immer weiter von mir zu entfremden. Sie waren es doch schließlich gewesen, die auf das Verbindungsglied zwischen all diesen Mordfällen gekommen waren - die Spielzeugmaus. Aber je mehr ich ihre ursprüngliche Theorie bestätigt hatte, je mehr ich ihnen demonstriert hatte, daß dieses Verbrechen wirklich ganz tief in der Welt der Katzen verwurzelt war, desto ablehnender waren sie geworden.
    Tony stand immer noch irgendwie unter Schock. Er lag auf dem Sofa, ging ein bißchen in der Wohnung auf und ab und legte sich dann wieder hin. Er führte lange, ziemlich sonderbare Gespräche mit Bushy, der keineswegs erbaut war, daß diese Quasselstrippe ihn ständig aus seinem Vormittagsschläfchen riß.
    Zu meiner Verabredung mit Tricia Lamb in dem japanischen Restaurant kam ich fünfzehn Minuten zu spät. Sie sah völlig anders aus, als ich sie mir vorgestellt hatte. Sie hatte mir ja erzählt, daß sie das Stück produzieren würde, und also hatte ich den typischen Produzententyp erwartet. Es stellte sich heraus, daß sie eine von diesen komischen alternativen Typen war, die in der Theaterwelt immer wieder mal auftauchen, um genauso schnell wieder zu verschwinden. Sie trug Jeans und einen hübschen weißen Pullover. Kein Make-up, keinen Schmuck. Ihr Gesicht war sehr blaß, die Haut wirkte wie ein Stück Papyrus. Sie sprach leise und schnell, mit einem leichten Bostoner Akzent. Es war unmöglich, ihr Alter zu schätzen. Sie hätte fünfundzwanzig sein können, aber genausogut fünfzig.
    Ich trank eine Flasche japanisches Bier. Sie nahm drei Wodka-Martinis, die sie hinunterkippte. Dann bestellte ich gegrillten Aal auf Reisbett. Ich esse leidenschaftlich gern Aal. Sie wollte nur eine Tasse Muschelsuppe und einen Endiviensalat.
    Wir plauderten belangloses Zeug, bis das Essen kam. Dann sagte sie: »Ich habe Sie in Montreal gesehen, in der Portobello-Inszenierung von Romeo und Julia. Sie waren einzigartig.«
    »Danke.«
    »Ich bin sicher, was wir planen, wird Sie neugierig machen. Kennen Sie das Stück?«
    »Ich habe es gelesen. Auf der Bühne habe ich es nie gesehen.«
    Sie lächelte verschwörerisch und lehnte sich über den Tisch. Ihre Augen leuchteten bernsteinfarben. »Ich bin schon lange von diesem Stück besessen, sehr lange.«
    Das war nicht die Art von Bemerkungen, auf die ich leicht eine Antwort fand. Ich fing an, in meinem Aal herumzustochern.
    »Haben Sie ein Theater?« fragte ich.
    »Nein, kein richtiges Theater, nur einen Loft in der Leonard Street.
    Die meisten Schauspielerinnen werden sofort hellhörig, wenn sie das Wort »Loft« hören, denn das verheißt in der Regel nichts Gutes und deutet auf eine Amateur-Produktion hin. Aber ich sehe das anders. Ich bin lange genug in der Branche um zu wissen, daß in der New Yorker Theaterwelt Lofts der einzige Ort sind, wo irgend etwas Gescheites gemacht wird. Und je heruntergekommener der Loft, desto besser.
    »Wer führt Regie?«
    »Ich«, flüsterte sie heftig. »Ich bin Produzentin und Regisseurin und finanziere das Projekt. Und das Stück wird in meiner neuen Übersetzung aufgeführt werden.«
    Das überraschte mich. »Haben Sie Griechisch studiert?«
    »Ich habe so ziemlich alles studiert.«
    Sie löffelte ihre Suppe mit Genuß bis zum letzten Tropfen. Dann wollte sie anfangen, ihren Salat zu essen, legte die Gabel aber wieder zur Seite.
    »Das Stück ist ganz anders, als gemeinhin angenommen wird«, sagte sie. »Vordergründig handelt es von einem griechischen Bogenschützen, der auf dem Weg nach Troja ist. Er

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