Eine Kiste explodierender Mangos
uns geirrt haben? Natürlich wird er freigelassen. Aber â Hand aufs Herz â würden Sie das einen Fehler nennen? Nein. Ein Risiko und ein Spinner weniger, um die man sich Sorgen machen muss.â
Immer wieder huscht mein Blick zu den Gefangenen, die mit den FüÃen scharren und sich wiegen wie ein griechischer Chor, der seinen Text vergessen hat. Ihre Ketten klingen wie die Glocken von Kühen auf dem abendlichen Heimweg in den Stall.
Major Kiyanis Hand verschwindet unter seinem Kamiz. Er zieht seine Pistole hervor und legt sie zwischen den Teller mit den Keksen und die Schale mit Cashewnüssen. Der Elfenbeingriff der Pistole erinnert an eine tote Ratte.
âWaren Sie schon einmal im Spiegelpalast?â
âNeinâ, antworte ich. âAber ich habe ihn im Fernsehen gesehen.â
âEr ist gleich da drüben.â Er zeigt auf ein Gebäude mit Bögen und einer Kuppel. âSie sollten ihn sich anschauen, bevor Sie abreisen. Wissen Sie, wie viele Spiegel es dort gibt?â
Ich tunke meinen Nice-Keks in den lauwarmen Tee und schüttele den Kopf.
âTausende. Wenn sie nach oben schauen, starrt Ihr Gesicht Ihnen aus Tausenden von Spiegeln entgegen. Aber dennoch reflektieren diese Spiegel nicht Ihr Gesicht, sondern nur sein Spiegelbild. Sie haben vielleicht einen Feind mit tausend Gesichtern. Verstehen Sie, was ich meine?â
Eigentlich nicht. Ich würde gerne aufstehen und mir die Gefangenen ansehen. Nach dem Generalsekretär Ausschau halten. âInteressantes Konzeptâ, sage ich.
âBei der Geheimdienstarbeit ist es ganz ähnlich. Man muss Gesichter von Spiegelbildern unterscheiden, und dann die Spiegelbilder der Spiegelbilder aussortieren.â
âUnd die da?â Ich deute auf die Gefangenen und schaue zum ersten Mal richtig hin. âHaben Sie die schon aussortiert?â
âJeder von ihnen war ein Sicherheitsrisiko. Jeder. Inzwischen sind sie neutralisiert, aber noch als Risiko eingestuft.â
Die Häftlinge stehen weiter mit den Rücken zu uns in einer Reihe. In ihren Lumpen scheinen sie keine Gefahr darzustellen, auÃer vielleicht für die eigene Gesundheit und Hygiene.
Aber ich halte den Mund, nicke Major Kiyani nur anerkennend zu. Warum Streit anfangen, wenn man auf einem dichten grünen Rasen sitzt und bei Sonnenuntergang die erste Zigarette seit einem Jahrhundert raucht?
âSie waren ein interessanter Fall.â Krümel von der Hühnchenpanade glitzern in Major Kiyanis Schnurrbart. Er mustert mich beifällig, vielleicht wie ein Wissenschaftler einen Affen, nachdem er ihm Elektroden ins Gehirn eingeführt hat. âIch habe viel von Ihnen gelernt.â
Die Atmosphäre gegenseitiger Achtung, die dieses Ritual umgibt, erfordert, dass ich das Kompliment zurückgebe. Ich nicke. Wie ein Affe mit Elektroden im Hirn.
âSie haben Ihre Freunde nicht vergessen, selbst als Sie â¦â Major Kiyani wedelt mit der Hand. Er besitzt genügend Takt, um die Orte, an denen ich gefangen war, nicht zu nennen. âDennoch sind Sie nicht sentimental. Was vorbei ist, ist vorbei. Finden wir uns mit den Verlusten ab und blicken nach vorn. Ich glaube, General Akhtar war beeindruckt. Sie haben Ihre Karten geschickt gespielt. Einen Freund verloren, einen neuen gewonnen. Eine einfache Rechnung. General Akhtar schätzt Szenarien, bei denen am Ende alles aufgeht.â
Die Gefangenen scheinen unhörbaren Befehlen zu folgen, aber vielleicht kennen sie auch nur den Ablauf. Sie schlurfen nach links, schlurfen nach rechts, gehen in die Hocke. Ich höre Stöhnen.
Falls man sie hierhergebracht hat, damit sie Bewegung haben, kommt nicht viel dabei heraus. Und falls das eine Show für mich sein soll, fühle ich mich nicht unterhalten.
âMan lernt immer etwas dazu.â Major Kiyani leckt begierig an der kandierten Kirsche auf einem Marmeladentörtchen. âIn meiner Branche lernt man immer etwas dazu. An dem Tag, an dem man aufhört zu lernen, ist man erledigt.â Der Schatten eines Vogels überquert den Rasen zwischen uns und den Häftlingen.
Ist der Generalsekretär dabei? Er ist wahrscheinlich schon gestiefelt und gespornt, bereit, nach Hause zu fahren und den Kampf wieder aufzunehmen. Ich würde mich gerne von ihm verabschieden. Ich würde gern sein Gesicht sehen, bevor man ihn freilässt.
âDrehen Sie sich umâ, ruft Major Kiyani. Dann schaut er mich an, seine
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