Eine Klasse für sich
öffentlich, sondern unauffällig. Hinter den Kulissen.
Ich goss mir eine Tasse Kaffee ein und setzte mich auf eine Bergère mit Stickereibezug, angefertigt vermutlich Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Um endlich zum Kern der Sache vorzustoßen, fragte ich: »Und? Wie geht es Joanna?« Dort waren wir stehen geblieben.
Kieran sah mich eine Weile lang unverwandt an. Auch ihm musste bewusst sein, aus welchen Gründen wir hier waren. »Joanna ist tot«, antwortete er.
»Wie bitte?«
»Und leider auf eine traurige Weise gestorben. Sie wurde in einer öffentlichen Toilette gefunden, nicht weit von Swindon, mit einer leeren Spritze neben sich. Sie hat sich eine Überdosis Heroin gespritzt. Die Polizei geht davon aus, dass sie etwa fünf Tage in der Kabine eingeschlossen war. Man wurde durch den Geruch alarmiert, der, wie du dir vorstellen kannst, an einem solchen Ort ziemlich stark sein muss, um bemerkt zu werden.«
Mit einem Schlag erkannte ich in Kieran de Yong einen gebrochenen Mann. Dieses grausige, elende, tragische Bild verließ ihn nie, das Bild der Frau, die er wohl viel mehr geliebt hatte, als er es anfangs für möglich gehalten hatte. Ein Bild, das stets einen Fingerbreit hinter seinen Gedanken schwebte und ihn bestimmt auch in seinen Träumen heimsuchte. Jetzt begriff ich, warum er mich hatte treffen wollen: Das Einzige, worüber er wirklich reden oder nachdenken wollte, war Joanna. Und ich hatte sie gekannt. Im Savoy merkte er, dass er kein echtes Gespräch mit mir führen konnte, ohne mir von ihrem Tod zu berichten. Aber das war ihm in dem lauten, voll besetzten Restaurant nicht möglich. Nun, als es ausgesprochen war, sah er fast entspannt aus.
Manche Dinge sind so schockierend, dass das Gehirn ein paar Sekunden braucht, um sie zu verarbeiten. So erging es mir jetzt. Joanna
Langley, die bezaubernde, hinreißende Joanna, war tot, umgekommen auf eine Art und Weise, die mehr zu den Vergessenen, Verlassenen, Verlorenen passte als zu einem Liebling der Götter.
»Großer Gott!« Einen Augenblick lang glaubte ich, ich müsse in Tränen ausbrechen, und auch Kieran sah verdächtig danach aus, doch dann fasste er sich. Schließlich nickte er langsam, als wäre mein Ausruf ein Kommentar gewesen. Mancher Tod hat etwas Sanftes, Tröstliches, das den Überlebenden ihren Kummer ertragen hilft. Dieser Tod gehörte nicht dazu. »Wann ist das denn passiert?«
»Im Oktober 1985. Am fünfzehnten. Wir hatten uns zwei Jahre zuvor getrennt, wie du wahrscheinlich weißt, und nicht mehr miteinander gesprochen, außer über Malcolm. Wir hatten …« Er zögerte. »Wir hatten Differenzen. Eine Auseinandersetzung.« Er gewann an Kraft. »Einen Streit. Dann kam das Gerichtsurteil und brachte zumindest eine Entscheidung. Ich hatte das Gefühl, jetzt könnten wir alles hinter uns lassen, könnten beide darüber hinwegkommen.« Er warf die Hände hoch, eine Geste der Hoffnungslosigkeit.
»Aber so war es nicht.«
»Offensichtlich nicht.«
»Worüber habt ihr denn gestritten?«, fragte ich kühn. Wir waren uns an diesem Abend doch sehr nahegekommen, deshalb empfand ich meine Frage nicht als aufdringlich.
»Joanna hatte eine Menge Probleme. Nun ja …« Er fuhr sich mit den Fingern durch sein beneidenswertes Haar. »Das sieht man schon daran, wie sie gestorben ist. Ich wollte das Sorgerecht für Malcolm. Aber beileibe nicht, weil ich verhindern wollte, dass sie ihn sieht.« Es war klar, dass er sich für den Tod seiner Frau verantwortlich fühlte ; die heftigen Schuldgefühle peinigten ihn sichtlich noch dreiundzwanzig Jahre später. »Ich dachte einfach, es wäre besser für ihn, bei mir zu leben, als mit seiner Mutter herumzustreunen. Ich hatte damals schon mehr Geld als sie …«
»Donnerwetter!«
Er schüttelte den Kopf. »Alfred hatte ein paar Jahre zuvor bei einer Immobilienpleite alles verloren, da war also nichts mehr zu erwarten. Im Leben der Langleys hat es einen tiefen Einbruch gegeben.
Sie sind richtig verarmt und mussten in eine Wohnung am Rand von Streatham ziehen.« Plötzlich hatte ich eine lebhafte Vision der juwelenblitzenden Mrs. Langley, die am Rand des Ballsaals wie ein ner vöses Frettchen zu Viscount Summersby hinüberspähte, ob sie bei ihm wohl ein Zeichen des Interesses an ihrer Tochter entdecken könnte. Damals hätte niemand geahnt, welche Zukunft ihr bevorstand. »Es war nicht nur das Geld. Joanna war sehr enttäuscht über den Lauf der Welt. Sie dachte, wir würden alle bald in einer Art
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