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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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des Terrorregimes zur Guillotine gefahren. Die Offiziere hörten den Tumult des Thermidor-Staatsstreichs, doch zum Unglück ihrer Passagiere beschlossen sie, die grausige Fahrt fortzusetzen. Falls es zum Sturz des Regimes käme, würden sie von niemandem zur Rechenschaft gezogen, doch falls Robespierre überlebte und an der Macht bliebe, würde er sie alle hinrichten lassen, weil sie die Opfer verschont hatten. Wahrscheinlich hatten sie recht.
    Das Bild hing über einem reich verzierten Kamin, den ich bewunderte. Kieran berichtete, er stamme aus dem Fundus eines großen Herrenhauses, an dessen Abriss in den Fünfzigerjahren, den Jahren der Hoffnungslosigkeit, ich mich noch erinnern kann. Die Unmenge von Türstöcken, Kaminen, Balustraden und anderem Plunder, die damals auf den Markt kam, ist heute weit verstreut. Die Familie lebt nun glücklich und zufrieden in der bezaubernden, umgebauten Orangerie.
    »Kannst du in einem so neuen Gebäude überhaupt Feuer machen? Ist das ein echter Kamin?«
    »Aber sicher. Ich wollte das Penthouse, damit ich einen Kamin einbauen lassen konnte. Ich hasse Wohnzimmer ohne offenen Kamin, du nicht? Das ging auch ohne größere Schwierigkeiten.« Er redete wie von einem zusätzlichen Bad.
    Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, wie es sein musste, in Geld zu schwimmen. Natürlich schwimmen wir im Vergleich zu den Bewohnern riesiger Teile des Erdballs alle in Geld, und ich will nicht undankbar klingen. Aber wie ist es, wenn man etwas nur deshalb nicht tut, kauft, isst oder trinkt, weil man nicht will? »Das wäre todlangweilig«, hört man oft. Tatsächlich? Es ist nicht lang weilig , jeden Morgen heißes Wasser zu haben und jeden Abend ein köstliches Essen, in feiner Bettwäsche zu schlafen, in hübschen Räumen zu leben oder ein paar schöne Bilder zu sammeln; warum sollte es langweilig
sein, wenn man nur mit dem Finger zu schnippen braucht, um alle diese Wohltaten zu verdreifachen? Ich würde es mit Sicherheit restlos genießen. »Hast du ein Haus auf dem Land?«, fragte ich.
    »Nein.« Er antwortete mit milder Nachsicht, als müsste ich es eigentlich besser wissen. »Nicht mehr. Das habe ich alles schon hinter mir.« Er lachte in sich hinein. »Ich hatte einmal einen Herrensitz in Gloucestershire, einen zweiten in Schottland, eine Wohnung in New York, eine Villa bei Florenz und ein Haus in London, in der Cheyne Row. Sobald ich in einer dieser Behausungen ankam, habe ich mich darüber aufgeregt, was seit meinem letzten Aufenthalt alles falsch gemacht worden war. Ich blieb nirgendwo länger als drei Tage und bin deshalb über das Beschwerdestadium nie hinausgekommen. Das Haus in den Cotswolds vermisse ich allerdings.« Eine rosa Wolke der Nostalgie zog kurz über ihn hinweg. »Die Bibliothek war einer der hübschesten Räume, die ich je gesehen, geschweige denn bewohnt habe. Aber nein.« Er schüttelte den Kopf, um diese lästigen Bilder eines selbstsüchtigen Luxuslebens zu vertreiben. »Damit hab ich abgeschlossen. Das bringt nichts.«
    Ein Satz, der mir seltsam vorkam, aber ich ging darüber hinweg. Kieran hatte schon unterwegs den Kaffee bestellt, den ein diskreter Diener nun servierte. Wieder einmal fühlte ich mich wie in einer High-Society-Komödie. War mir bei der Übernahme meines Auftrags eigentlich bewusst gewesen, welche Einblicke in die gegenwärtige Welt sich mir auftun würden? War es ein Schock, dass dieser Lebensstil, dem die Sechzigerjahre den sicheren Untergang prophezeit hatten, munter weitergedieh und nicht einmal mehr so ungewöhnlich war? Ich glaube, dass ich mich in der Gesellschaft recht frei bewege, und ich habe viel Zeit in Häusern verbracht, deren Besitzer zu beneiden sind. Aber langsam begriff ich, dass es nicht mehr so war wie früher, als nur einige wenige so lebten wie einst der alte Adel, hier und da mal ein Millionär, der eine bahnbrechende Erfindung gemacht hatte. Inzwischen ist eine ganz neue Schicht von Reichen entstanden, die ein Luxusleben führen und genauso zahlreich sind wie der Adel in seiner Blütezeit. Mit dem einzigen Unterschied, dass sich alles hinter geschlossenen Türen abspielt und daher von den Medien
oft verzerrt dargestellt wird. So ist der großen Mehrheit gar nicht bewusst, dass eine neue Gruppe Vermögender diesem Lebensstil frönt, aber im Gegensatz zu ihren Vorgängern vor hundert Jahren kaum Verantwortung für die weniger mit Gütern Gesegneten übernimmt. Die Vertreter dieser neuen Herrschaftsschicht ziehen die Drähte nicht

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