Eine Klasse für sich
war mein Sohn. Das allein hätte schon genügt, um meine Ansprüche zu rechtfertigen.« Ich setzte mich auf. Ich hatte angenommen, seine Ansprüche auf seinen Sohn gründeten tatsächlich allein darauf.
»Was hattest du denn sonst noch für Trümpfe?«
»Ich habe einen Vaterschaftstest machen lassen. Ich wollte wissen, wie schwierig die Schlacht zu schlagen wäre.« Wieder blickte er mich an, diesmal mit wildem Grimm. Da sah ich, mit wem Joanna es aufgenommen hatte, und einen Augenblick hatte ich richtig Mitleid mit ihr. Aber ohne eisernen Willen sind Erfolge wie die Kierans wohl nicht möglich. »Dabei kam heraus, dass ich doch Malcolms Vater war.«
Schlagartig verpuffte das Gefühl, meinen Auftrag erledigt zu haben. »Wie hat sie das aufgenommen?«
»Rat mal.« Er rollte mit den Augen. »Sie konnte nicht mehr klar denken. Glaubte mir nicht. Sagte, ich hätte getrickst wie immer, blablabla. Das kannst du dir ja vorstellen.« Allerdings. »Also haben wir einen zweiten Test machen lassen, unter Aufsicht ihrer Anwälte, natürlich mit demgleichen Ergebnis. Da brach sie psychisch zusammen …« Er stand am Fenster und starrte hinaus, eine dunkle Silhouette vor dem schwarzblauen Samt des Sternenhimmels. Dabei
redete er weiter, in die Nacht hinein, sich meiner Gegenwart kaum bewusst. »Sie führte sich so auf, dass sie vor Gericht nicht sonderlich zurechnungsfähig wirkte, deshalb war es keine große Überraschung, als der Richter mir das alleinige Sorgerecht zusprach und ihr nur ein Besuchsrecht. Das war viel mehr, als ich gefordert hatte. Diese Entscheidung fiel im September fünfundachtzig.«
»Und einen Monat später hat sie sich das Leben genommen.«
»Das Leben genommen oder sich versehentlich eine Überdosis gespritzt. Wie auch immer.« Er seufzte müde, seine ganze, bei der Erinnerung hochgestiegene Wut war verflogen. »Sie war tot. So ist es also für Joanna ausgegangen. Dabei war alles so unnötig. Malcolm war damals vierzehn. Selbst wenn ich es darauf angelegt hätte, seine Besuche bei ihr einzuschränken – im Übrigen nie meine Absicht –, wäre mir das höchstens ein, zwei Jahre lang gelungen.«
Manche Entscheidungen sind schwer nachvollziehbar. Warum war Joanna mit diesem Mann durchgebrannt, als er noch eine provokante, groteske Figur war, verließ ihn aber, als sich seine Triumphe abzeichneten? Warum dieses Gerangel um den Jungen, als er schon alt genug war, um sich selbst eine Meinung über seine Eltern und ihre gegensätzlichen Lebensauffassungen zu bilden? Warum war Joanna in eine tödliche Depression abgerutscht, wenn sie doch im Grunde nichts zu befürchten hatte?
»Ich verstehe nicht, warum wir nie etwas davon gehört haben. Warum steht nichts im Internet?«
»Vor allem deshalb, weil ich ungeheuer viel Zeit und Geld investiert habe, damit niemand davon hört. Ich habe dafür gesorgt, dass die Presse sich auf eine minimale Berichterstattung beschränkte, wie, werde ich dir nicht verraten, und ich beschäftige einen Angestellten, der den ganzen Tag damit verbringt, das Web zu durchkämmen und von allem zu säubern, was mir nicht passt, einschließlich der leisesten Anspielung auf Joanna.«
»Warum?«
»Weil ich ihr das schuldig bin. Ich habe ihr Leben zerstört. Ich werde sie im Tod nicht zum Opfer der Schmierblätter werden lassen. «
Ich habe ihr Leben zerstört. Ich war betroffen, welche unbeschönigten, heftigen, gnadenlosen Schuldgefühle dieser Satz verriet. Kieran gestand sich keine Entschuldigung zu. »Wie traurig«, sagte ich. Und meinte es von ganzem Herzen. Ich war traurig über das Verhängnis, das über das ganze Haus Langley hereingebrochen war. Trübselige Bilder stiegen in mir auf: Der nette, reiche Alfred und seine fahrige, ehrgeizige Valerie wurden von ihrem goldenen Sockel, wo meine Fantasie sie fest und sicher verankert hatte, plötzlich hinuntergestoßen wie Don Giovanni, zurück in die Tiefe, aus der sie gekommen waren. Und Joanna, für mich der Inbegriff von weiblichem Liebreiz, lag entweiht und tot in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt irgendwo in den Midlands, das Handgelenk von Einstichstellen gesprenkelt, das schmutzige, wirre Haar auf dem urinfleckigen Betonboden ausgebreitet. »Wie unfassbar traurig.«
Ich sah auf die Uhr. Zeit zum Aufbruch. Ich begriff jetzt, dass Kieran die Chance genutzt hatte, über seine Frau zu sprechen, die ihn gegen seinen Willen verlassen hatte, aber nie seine Gedanken verlassen würde. Er wollte einfach mit jemandem über sie
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