Eine Klasse für sich
bezahlen.« Durch seinen bitteren Ton klang plötzlich echter Schmerz durch. Ich sah ihn an. »Als Joanna mich verlassen hat. Das war nur zu begreiflich. Sie hatte mich aus Protest gegen das Establishment
geheiratet, und plötzlich lebte sie mit einem Mann zusammen, der es für wichtig hielt, sich die Hemden mit einer unterschiedlichen Ärmellänge von einem halben Zentimeter schneidern zu lassen, der seine Krawatten nur in Rom kaufen und seine Schuhe nur von einem ganz bestimmten Schuhmacher in St. James’s besohlen lassen konnte. Ein lächerlicher Spießer! Kann man’s ihr verdenken?«
Ich fand es an der Zeit, die Stimmung etwas aufzuheitern, und schlug einen leichteren Ton an. »Wenn ich mich an deine Schwiegermutter richtig erinnere, dann muss ihr deine Veränderung sehr willkommen gewesen sein. Und das Geld natürlich.«
Er sah mich an; der Kellner brachte die Vorspeisen. »Hast du Valerie Langley gekannt?«
»Nicht gut. Ich kannte sie als Joannas Mutter, nicht als ›Valerie‹. «
»Die hat einiges auf dem Gewissen.« Das war alles andere als scherzhaft dahingesagt. Ich grübelte noch darüber nach, da fuhr er schon fort: »War dir klar, dass sie uns nur deshalb nach Portugal eingeladen hat, um uns auseinanderzubringen? Kannst du dir vorstellen, dass eine Mutter ihrer Tochter so etwas antut?«
Das konnte ich in der Tat, wenn die Mutter Valerie Langley hieß, aber es hatte wenig Sinn, Öl ins Feuer zu gießen, deshalb lenkte ich das Gespräch lieber in andere Bahnen. »Nach deiner Trennung von Joanna hast du meines Wissens ein zweites Mal geheiratet. Bist du noch mit deiner zweiten Frau zusammen?«
Er fuhr auf, als hätte ich ihn aus tiefen Gedanken gerissen. »Nein. Wir haben uns scheiden lassen. Schon vor Jahren.«
»Das tut mir leid. Das steht nicht in deiner Biografie.«
Wieder sah er mich an, als würde ich ihn zwingen, sich mit mir über einen Strafzettel zu unterhalten, der 1953 an jemand anderen ausgestellt worden war. »Das braucht dir nicht leidzutun. Jeanne hat mir nichts bedeutet.« Mich überlief ein Schauer, nicht nur wegen der Eiseskälte der Antwort. Sie sagte allzu viel über Kierans Einsamkeit aus.
»Wie geht es Joanna?« Er hatte sie bereits erwähnt, also sah ich keinen Grund, nicht nach ihr zu fragen. »Versteht ihr euch wieder besser?«
Die Frage schien ihn zu überraschen, in die Gegenwart zurückzuholen. Er entnahm meinen Worten etwas, was über ihren reinen Inhalt hinausging. »Warum wolltest du mich sehen?«, fragte er.
Plötzlich fühlte ich mich, als wäre ich bei einem Ladendiebstahl ertappt worden, oder schlimmer noch, als hätte ich die Taschenlampe eines Schulfreunds eingesteckt. »Eigentlich führe ich einen Auftrag aus.«
»Einen Auftrag? Für wen?«
»Für Damian.« Ich zögerte, betete um Inspiration. »Du weißt, dass er krank ist…«
»… sterbenskrank.«
»Genau. Und er möchte gern hören, wie es seinen Freunden von damals…« Ich hatte noch keine Ahnung, wie ich mich da wieder herauswinden sollte. » … wie es ihnen ergangen ist. Ob ihr Leben gelungen ist. Du weißt schon. Ähnlich, wie du dich mit deiner Vergangenheit beschäftigst. Und gern darüber redest.« Ein lahmer Versuch, die beiden in ein gemeinsames Boot zu setzen.
»Meint er alle seine Freunde? Oder nur bestimmte?«
»Im Moment nur ein paar, und er hat mich um Hilfe gebeten, weil er sie aus den Augen verloren hat und wir einmal sehr eng befreundet waren.«
Was Kieran nicht schluckte. Kein Wunder. »Ich bin erstaunt, dass ausgerechnet du diesen Auftrag übernommen hast.«
Die Bemerkung traf natürlich ins Schwarze. »Ich staune selbst. Erst war ich auch nicht bereit dazu, aber dann habe ich ihn besucht und hatte das Gefühl …« Ich brach ab. Was hatte mich denn dazu gebracht, über den Schatten einer lebenslangen Abneigung zu springen?
Kieran antwortete an meiner Stelle. »Du hattest das Gefühl, du konntest es ihm nicht abschlagen. Weil der Tod ihn schon im Nacken sitzt und du ihn, bevor du hinkamst, noch als jungen Mann im Kopf hattest.«
»So ungefähr.« Ganz genau sogar, allerdings war das nicht alles. Außer Mitgefühl mit Damian hatte ich tief im Innersten wohl eine allgemeinere, umfassendere Trauer empfunden; mich schmerzte die
Grausamkeit der Zeit. Jedenfalls hatte Kieran mich gründlich in Verlegenheit gebracht; meine Schnüffelei, meine vorgebliche Mildtätigkeit kamen mir nun reichlich unwürdig vor.
»Welche?«
»Entschuldige?« Ich hatte den Faden
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