Eine Klasse für sich
verloren.
»Welche von Damians Freunden?«
Ich zählte ihm die Frauen auf. Er hörte zu, während er seinen Dorschrogen verzehrte, brach den Toast auseinander und drückte die glibberige rosa Masse mit der verräterischen Akkuratesse des allein lebenden Mannes auf die Stücke – nicht affektiert, nicht pedantisch, sondern diszipliniert und ordentlich , wie man einen Militärspind aufräumt. Er aß zu Ende, bevor er wieder zu reden anfing. »Hat das etwas mit meinem Sohn zu tun?«
Die Frage traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Mir wurde übel, und einen Moment lang glaubte ich, dass ich mich tatsächlich würde übergeben müssen. Wenigstens beschloss ich, sofort reinen Tisch zu machen, da Kieran mich ohnehin durchschaute, als wäre ich eine Fensterscheibe. Ich holte tief Luft und sagte: »Ja.«
Das ließ er erst einmal auf sich wirken, wendete es in seinen Gedanken hin und her, betrachtete es aus jedem Winkel wie ein Kenner, der nicht ganz von der angeblichen Erstklassigkeit einer sündteuren alten Porzellanfigurine überzeugt ist. Dann traf er eine Entscheidung. »Hier will ich nicht darüber reden. Hast du Zeit, nachher auf eine Tasse Kaffee zu mir zu kommen?« Ich nickte. »Dann machen wir das doch so.« Und vor meinen Augen streifte er die zugängliche, bescheidene Persona ab, die er mir bislang vorgeführt hatte, setzte eine Maske glatter Kultiviertheit auf und begann munteren Small Talk, welche Länder er gern besuchte, wie enttäuscht er von der Regierung sei und ob die Umweltbewegung aus dem Ruder laufe, bis wir fertig gegessen und bezahlt hatten. Dann ging er mir voraus zu dem großen Rolls-Royce, der vor dem Hotel schon auf ihn wartete; der Chauffeur stand neben dem offenen Wagenschlag.
Kieran wies mit einem Kopfnicken zu dem prachtvollen Gefährt. »Manchmal ist das Altbewährte doch das Beste«, bemerkte er leichthin, und wir stiegen ein.
Wir fuhren zu einem der neuen und – anders kann man es nicht nennen – unschönen Wohnblocks, die vor Kurzem bei der Vauxhall Bridge aus dem Boden gestampft worden sind. Ich hatte noch nie eines dieser Häuser betreten und wunderte mich über Kierans Wahl. Wahrscheinlich hatte ich ein entzückendes, um 1730 für einen fröhlichen Landadeligen erbautes Stadthaus in Chelsea erwartet, dessen Marktwert ausreichen würde, um Madrid zu entschulden. Aber als wir im obersten Stockwerk aus dem Lift stiegen und in Kierans Domizil traten, begriff ich sofort. Am Ende eines langen, breiten Gangs öffnete sich ein etwa zehn Meter breiter, weiß Gott wie langer Raum, der die gesamte Seite des Gebäudes einnahm, ein einziger riesiger Wohnraum. Die hohen Fenster an drei Seiten boten ein London-Panorama, wie es nur in den Gondeln des London Eye noch grandioser hätte sein können. Ich sah auf das gekräuselte Wasser der nächtlichen Themse hinunter, die emsigen Spielzeugboote mit den bunten, blinkenden Lichtern, die Modellautos, die auf den Straßenbändern hin und her flitzten, die Passanten, winzige, unter den Laternen dahineilende Punkte. Es war wie fliegen.
Im Raum selbst gab es nicht weniger zu bestaunen. Noch nie hatte ich in einer Privatwohnung so viel Schönes gesehen. Selbst im imposantesten Familiensitz findet man zwischen den erlesenen Stücken gelegentlich ein Stuhlpaar, das von Tante Joan bezogen wurde, oder ein Mitbringsel Daddys aus dem Sudan. Hier gab es nichts dergleichen. Zwei passende Savonnerie-Teppiche bedeckten den glänzenden Boden, das Mobiliar darauf war so prachtvoll, als wäre es aus einem von Europas Großpalästen abtransportiert worden. An den Wänden hingen überwiegend Landschaftsbilder, ein Genre, das ich oft etwas langweilig finde, was ich von jenen aufsehenerregenden Kunstwerken aber nicht sagen kann. Da gab es Landschaften von Canaletto, Claude Lorrain, Gainsborough, Constable und anderen, deren Namen ich nur vermuten kann. Ein hinreißendes Gemälde der Prinzessin von Monaco von Angelika Kauffmann zog mich in seinen Bann. Kieran folgte meinem Blick. »Eigentlich bin ich kein Freund von Porträts. Ich finde sie sentimental. Aber dieses habe ich gekauft, weil es mich an Joanna erinnert.« Er hatte recht. Die Ähnlichkeit war
frappierend. Joanna mit breitkrempigem Blumenhut und einem fließenden Gewand, wie es um 1790 Mode war. Die Porträtierte wirkte sehr unbeschwert, bis ich mich erinnerte, dass sie nicht einmal mehr drei Jahre bis zu ihrem grässlichen Ende vor sich hatte. Die glücklose Prinzessin wurde im letzten Schinderkarren
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