Eine Klasse für sich
königliches Blut in den Adern floss. Weil wir nichts wussten, staunten wir über alles. Eine königliche Hoheit verlieh jeder Gesellschaft einen Glanz ohnegleichen. Keine Filmdiva auf dem Gipfel ihres Ruhms löst heute eine solche Aufregung aus wie in den Fünfziger – und Sechzigerjahren die Entdeckung, dass sich unter den Tänzerinnen im Ballsaal Prinzessin Margaret befand. Und sichtete man auf einer Cocktailparty
einen Cousin der Königin, in der Ecke plaudernd, dann wusste man, dies war an jenem Abend die schickste Party weit und breit. In meiner Jugend, genau gesagt 1961, wurden einmal sämtliche Jungen meiner Schule plus dreißig Musikinstrumente eine Stunde lang über Yorkshires holprige Straßen gekarrt, damit wir feierlich an der Straßenböschung stehen und der Hochzeitsgesellschaft des Herzogs von Kent zujubeln konnten, die vom Münster in York nach Hovingham fuhr, zum Haus der Braut. Sechshundert Jungen, entsprechend viele Busse, eine Blaskapelle, die heftig geprobt hatte – alles, um ein paar Autos zu sehen, die nicht anhielten, ja, nicht einmal langsamer fuhren, soweit ich mich erinnere. Vielleicht bremste der Wagen des Brautpaars ein wenig ab, jedenfalls ist mein Bild der jungen Herzogin scharf, das der anderen nicht. Die Kapelle spielte, wir winkten und schrien wie im Fieber unsere Hipp-hipp-hurras, der Korso sauste vorbei, verschwommene Gestalten in Anzügen von Molyneux und Hartnell, dann war alles vorüber. Das Ganze hatte, wenn überhaupt, fünf Minuten gedauert. Wir stiegen wieder in die Busse und fuhren zur Schule zurück.
Selbst Mitglieder kleiner, längst entmachteter Herrscherhäuser erwiesen den Gastgebern eine große Gunst, wenn sie auf Einladungen erschienen; Dagmar war da keine Ausnahme. Das Großherzogtum Moldau war nicht sehr alt; die Dynastie gehörte zu jenen Familien, die von den Großmächten in verschiedenen osteuropäischen Staaten eingesetzt worden waren, als das Osmanische Reich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts allmählich zerfiel. In Rumänien und Bulgarien, Montenegro und Serbien, Albanien und Griechenland wurden unversehens deutsche und dänische, manchmal auch einheimische Prinzen auf einen Thron gehoben. So auch im kleinen, gebirgigen Moldau. Zum Regenten wurde ein unbedeutender Spross des Hauses Lüdinghausen-Anhalt-Zerbst erwählt, der sich vor allem dadurch auszeichnete, dass er den Prinzen von Wales zum Paten hatte. Da das Staatsgebiet kaum größer und erheblich weniger einträglich war als die Ländereien eines englischen Herzogs, schien eine Königskrone unangemessen; also wurde das Territorium im April 1883 feierlich zum Großherzogtum ausgerufen.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass die neue Großherzogin alles andere als begeistert war. Bis dahin hatte sie ein vergnügliches Leben geführt, war hin – und hergependelt zwischen ihrem Stadtpalais in Wien und einem Jagdschlösschen im Schwarzwald. Noch nach zwei Jahren schrieb sie einer Freundin, ihr fehle eine wichtige Qualifikation für ihren Posten, nämlich der leiseste Wunsch, in Moldau zu versauern. Dennoch hielt das Paar einigermaßen erfolgreich die Stellung. Zum Glück lag das neue Reich an einem wichtigen Knotenpunkt zahlreicher Handelsrouten, was Einladungen zu allen königlichen Festen weltweit garantierte und später den Töchtern erfreuliche Heiratsanträge einbrachte. Denn über kurz oder lang erblickten in der kleinen Hauptstadt, in den stickigen Kinderzimmern eines grauenvoll unkomfortablen Palasts, der nicht viel größer war als der Amtssitz des Dekans von Salisbury, aber im Unterhalt erheblich aufwendiger, eine künftige russische Großherzogin, eine künftige österreichische Erzherzogin und eine künftige Prinzessin von Bourbon-Anjou das Licht der Welt.
Überraschenderweise überlebte das Großherzogtum Moldau bis ins Jazz-Zeitalter, dann aber sorgten die Stalinisten sowie wachsender Widerstand gegen die Monarchie als solche für den Sturz der Dynastie. 1947 war es vorbei mit dem Großherzogtum, und die Exregentenfamilie bezog als neuen Wohnsitz ein fünfstöckiges Haus am Trevor Square, ein angenehmes Domizil und sehr günstig zu Harrods gelegen.
Aber nicht einmal die exzellenten Einkaufsmöglichkeiten konnten dem abgesetzten Großherzog neuen Lebensmut einflößen, und schon nach wenigen Monaten gab er den ungleichen Kampf auf. Da traf sein Sohn, letzter Träger des Großherzogtitels und durch das Ableben seines erlauchten Vaters vielleicht sogar von einer Last
Weitere Kostenlose Bücher