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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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dass Philips Tante, die älteste Schwester seiner Mutter, in ihrer Kindheit an genau dieser Krankheit gestorben ist. Weder seine Mutter noch ihre Geschwister haben das je erfahren. Du kannst dir ja vorstellen, wie das früher war.« Sie machte ein grimmiges Gesicht. »Man hat den Kindern nur erzählt, der himmlische Vater habe ihre Schwester zu sich genommen, weil er sie so liebte. Basta.«
    »Wie hast du’s dann rausgekriegt?«
    »Schieres Glück. Meine Schwiegermutter unterhielt sich mit ihrer Mutter, die damals ungefähr eine Million Jahre alt gewesen sein muss, und erzählte ihr aus irgendwelchen Gründen von Margarets Krankheit. Wir haben unserer Großmutter nie erklärt, was los war, weil wir sie nicht beunruhigen wollten. Jedenfalls erfuhr sie plötzlich die Wahrheit, heulte los wie ein Wasserwerfer, und so kam alles heraus.«
    »Die arme Frau.«
    »Ja. Unsere arme Großmutter. Natürlich hat sie sich schreckliche Vorwürfe gemacht, das hat ihr dann auch bald den Rest gegeben. Wir haben ihr alle gut zugeredet, dass es nicht ihre Schuld sei und die Krankheit heute geheilt werden könne und so weiter, aber das hat ihr
wohl nicht mehr viel genutzt.« Sie lächelte traurig. »Damit war das Rätsel gelöst. Das Tragische ist, dass die Tante mit den richtigen Medikamenten leicht hätte gerettet werden können. Leider kam sie in den Zwanzigerjahren zur Welt, und da gab es nur heiße Tees und kalte Umschläge und Mandeloperationen auf dem Küchentisch. Aber Margaret geht es seither blendend.«
    »Hast du’s jemals bedauert?«
    Lucy tappte völlig im Dunkeln. »Was soll ich denn bedauert haben? «
    »Dass Margaret eindeutig Philips Tochter ist und nicht Damians? « Eine gemeine Frage, die sie an bessere Zeiten erinnerte, wo sie doch im ersten Kreis der Hölle feststeckte.
    Aber Lucy lächelte nur, und einen winzigen Moment lang blitzte hinter ihren Fältchen das kesse Luder hervor, das sie einmal gewesen war. »Ich weiß nicht. Damals sicher nicht, denn die Aufklärung des Dramas war für uns eine wahnsinnige Erleichterung. Später vielleicht. Ein bisschen. Aber erzähl bitte niemandem davon.«
    Als ich nach dem Abschiedsküsschen ins Auto stieg, klopfte sie noch einmal an die Scheibe. »Wenn du ihn siehst …«
    Ich wartete. »Ja?«
    »Sag ihm, dass ich an ihn denke. Wünsch ihm viel Glück für die Zukunft.«
    »Das ist es ja. Er hat keine. Jedenfalls keine sehr lange.«
    Das brachte sie zum Verstummen, und zu meinem Erstaunen sah sie einen Augenblick aus, als kämen ihr gleich die Tränen. Aber dann fing sie noch einmal an zu reden, und seit meiner Ankunft war ihre Stimme nicht so weich, so sanft gewesen. Vielleicht überhaupt noch nie. »Dann erst recht. Richte ihm von mir sehr herzliche Grüße aus. Und sag ihm, dass ich ihm alles Gute wünsche. Das Allerbeste.« Ich nickte, und sie trat zurück. Ihre schlichten Worte sprachen Bände – sie hatte Damian wohl von einer Seite erlebt, die ich ihm nicht zugetraut hätte.
    Das Interview war vorüber. Ich gab Gas und machte mich auf den Rückweg nach London.

Dagmar

5
    Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Dagmar von Moldau war trotz ihres klangvollen Namens ein schüchternes kleines Mäuschen. Sie hatte etwas Zaghaftes, ja Rührendes, als spürte sie, wie weit sie hinter den Erwartungen aller zurückblieb. Was in der Regel leider auch zutraf; wir alle wünschten uns, wir könnten ihr mehr Sympathie entgegenbringen. Trotzdem fanden wir damals die winzige Prinzessin und ihre umso fülligere Mutter, die Großherzogin, höchst beeindruckend. Das Wunder der konstitutionellen Monarchie hat keinen überzeugteren Anhänger als mich. Doch das jahrelange Breittreten in sämtlichen Medien hat der Glorie großer Dynastien Abbruch getan und der Öffentlichkeit bewusst gemacht, dass deren Mitglieder oft liebenswürdige, manchmal intelligente und zuweilen auch attraktive Männer und Frauen, meist nicht bemerkenswerter sind als jeder andere, hinter dem man im Supermarkt an der Kasse steht. Nur Ihre Majestät die Queen wahrt auch heute noch wahrhaft ihr Geheimnis, gibt sie doch keine Interviews und äußert keine Meinungen. Natürlich stellen wir liebend gern Vermutungen über ihre Reaktionen an. »Sicher ist ihr das zuwider«, sagen wir. Oder: »Darüber wird sie sich aber freuen.« Doch wir wissen es nicht, und genau diese Unwissenheit nährt unsere Faszination.
    Aber vor vierzig Jahren hat uns – und zwar nicht nur die Snobs unter uns – buchstäblich jeder fasziniert, dem echtes

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