Eine Klasse für sich
befreit, eine kühne Entscheidung. Ein Geniestreich, der seine Chancen auf den Thron seiner Vorfahren zwar drastisch verschlechterte, aber seine Aussichten auf ein Luxusleben bis zur Wiedereinsetzung enorm verbesserte. Mit würdevoller, wenn auch schmerzlicher Billigung seiner verwitweten Frau Mama, einer Prinzessin aus einer jüngeren Hohenzollern-Linie, ging er die Ehe mit der einzigen Tochter eines
nordenglischen Geschäftsmanns ein, eines gewissen Harold Swindley aus Leeds, der mit Ferienhäusern und Pauschalreisen ein Vermögen gemacht hatte. In den folgenden drei Jahren wurde diese höchst vernünftige Verbindung mit zwei Nachkommen gesegnet, Kronprinz Feodor und Prinzessin Dagmar.
Für uns und mehr noch für unsere Eltern lag der Fall des Hauses Moldau noch nicht lange zurück, und selbst die Ehe mit einer Miss Marion Swindley konnte den Glanz einer echten Krone nicht trüben. Als Dagmar auf unseren Gesellschaften erschien, waren seit der Abdankung erst zwanzig Jahre vergangen. Auch war das kommunistische Regime, das den Großherzog ablöste, nicht beliebt, die Familie stand immer noch auf der Gästeliste des Buckingham-Palasts, und es wurde viel von einer Restauration in Spanien gesprochen. Kurz, vor vierzig Jahren schien die Sache der Royalisten keineswegs hoffnungslos.
Die neue Großherzogin enttäuschte nicht. Dem Geld der Swindleys haftete vielleicht etwas Proletarisches an, war aber zumindest in den ersten Ehejahren in Hülle und Fülle vorhanden. Und die Dame hatte ihre Rolle gut einstudiert, bald war sie, wie jeder inbrünstige Konvertit, päpstlicher als der Papst. Zugegeben, als Schönheit konnte sie nicht durchgehen, aber »man kann nicht alles haben«, wie die Großherzoginwitwe einmal hörbar seufzte, als ihre Schwiegertochter wie ein Soldat beim Feldmanöver durch den Salon stampfte. Aber sie machte Eindruck, unbestreitbar, dafür sorgte schon ihre Größe. Auch war sie beileibe nicht dumm; vom gesunden Menschenverstand ihres Vaters, der sich im Übrigen diskret unsichtbar machte, hatte sie mehr geerbt, als sie sich anmerken ließ.
Trotz aller Bücklinge und Hoheit hier, Hoheit da – damals noch gang und gäbe – hatte die Großherzogin erkannt, dass ihre schüchterne Tochter in der Nachkriegswelt keinen Thron zu erwarten hatte. Ebenso klar war ihr, dass der neue Großherzog, der en prince leben wollte, aber keinen Tag lang zu arbeiten und auch nur einen Penny zu verdienen gedachte, ihr Kapital schneller als erwartet aufzehrte. Und als bodenständige Realistin, die sie im Grunde ihres Herzens immer blieb, wusste sie, dass kein Vermögen eine Chance auf Bestand hat,
wenn die Ausgaben grenzenlos sind und die Einnahmen null. Bevor der Lack ganz ab war, wollte sie ihre Tochter möglichst gut versorgt sehen. Obwohl britische Prinzessinnen nicht im üblichen Sinn »debütierten« und nur gelegentlich auf den Gesellschaften enger Freundinnen erschienen, beschloss sie, Dagmar die gesamte Debütantinnensaison absolvieren zu lassen. So könnte sich das Mädchen eine Position in der britischen Gesellschaft aufbauen und mit etwas Glück einen dicken Fisch an Land ziehen. Im Gegensatz zu anderen Hoheiten akzeptierte die Großherzogin auch, dass sie dafür etwas springen lassen musste. 1968 fiel ihr das nicht mehr so leicht wie früher, denn der Großherzog warf das Geld seit einem Vierteljahrhundert mit vollen Händen zum Fenster hinaus. Aber wenn schon, denn schon, fand sie, und so wurde beim Kostümball zu Ehren ihrer Tochter geklotzt und nicht gekleckert. Ich schätzte mich glücklich, auf der Gästeliste zu stehen.
Motto war der berühmte Ball, den die Herzogin von Richmond 1815 am Vorabend der Schlacht von Waterloo in Brüssel gegeben hatte; gefeiert wurde im Dorchester in der Park Lane. Heute gilt das Hotel als bevorzugtes Quartier von Filmstars und Geschäftsleuten aus dem Osten, aber zu jener Zeit spielte es eine wichtige Rolle in der »Gesellschaft«, wie man diese Kreise damals noch nannte. Schon die lange, ziemlich niedrige Eingangshalle stimmte auf das Thema des Abends ein: Livrierte Diener erwarteten uns in strammer Haltung, sämtliche modernen Hinweistafeln wie »Ausgang« waren hinter Pflanzenschmuck verschwunden, überall brannten Kerzen. Das alles verstieße heute gegen die Vorschriften, aber darüber zerbrach sich damals keiner den Kopf.
Wir kamen natürlich erst kurz vor elf, nach einem Dinner anderswo, und der Champagner, den uns Lakaien mit weißen Perücken zur Begrüßung
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