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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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entgegen, Hausgemachte Marmeladen und Gelees! Aber in der gähnenden Leere des Ladens wirkten sie nur trostlos und armselig, wie jemand mit einem lustigen Karnevalshut, der allein vor sich hin isst. Der Bodenbelag war billig, die Decke unfertig, und wie mir schon geschwant hatte, bestand das Warenangebot aus Dingen, die kein vernünftiger Mensch je kaufen würde. Da gab es nicht nur Dosen von Wildschwein – oder Gänseleberpastete, sondern auch irgendwelchen Klimbim, der verhindern sollte, dass Wein im Kühlschrank den Geschmack verliert, und Wolleinlagen für Fischerstiefel. Typische Mitbringsel für Leute, die vom Schenken keine Ahnung haben. Die Fleischtheke machte sogar auf Karnivoren wie mich einen extrem unattraktiven Eindruck und schien eher von einer eingehenderen Besichtigung abschrecken zu wollen. Eine einsame Kundin bezahlte einen Blumenkohl, ansonsten war der Laden menschenleer. Wir sahen uns schweigend um. »Das Problem sind diese Einkaufszentren«, sagte Philip lahm. »Die schießen überall aus dem Boden. Mit den Preisen dort kann man unmöglich mithalten, wenn man nicht pleitegehen will.« Mir lag die Bemerkung auf der Zunge, dass sie wohl sowieso pleitegingen. »Wir hören dauernd, die Leute wären heutzutage so umweltbewusst, es wäre ihnen wichtig, woher die Lebensmittel kommen, aber …« Er seufzte. Was vielleicht als ironisches Achselzucken beabsichtigt war,
endete in einem traurigen Absacken der Schultern. Ich gestehe, dass er mir in diesem Moment ungemein leidtat.
    Der Kurswechsel in den harten Zeiten der Geschichte bremst weder die Dynamik innovativer Geschäftsideen noch den Ehrgeiz, der einen Fabrikgründer oder eine gesellschaftlich tonangebende Gastgeberin antreibt, der einen neuen Stern am Bühnenhimmel aufgehen oder jemanden Triumphe auf dem politischen Parkett einheimsen lässt. Das alles ändert sich nicht. Unterschiedlich ist dagegen, wie viel Leerlauf hinter der brillanten Fassade noch geduldet wird. In einer entspannteren Zeit wie meinen Jugendjahren kamen auch Leute mit bescheidenen Fähigkeiten über die Runden, in allen Schichten der Gesellschaft. Auch für diese Menschen fanden sich Jobs und Wohnungen. Irgendein Onkel half; die Mutter eines Bekannten legte ein gutes Wort ein. Aber wenn sich die Dinge zuspitzen, wenn wie heute mehr zu holen ist, aber ein rauerer Wind weht, dann werden die Schwachen zur Seite geschubst, bis sie über die Klippe stürzen. Ungelernte Arbeitskräfte werden genau wie kurzsichtige Landbesitzer von einem System zermalmt, das sie nicht durchschauen, und landen im Abseits. Wie Philip Rawnsley-Price. Unbewusst hatte er wohl damit gerechnet, dass er mit seinem forschen Auftreten schon durchkommen würde, dass er es mit seinem Charme und seinen Beziehungen schon schaffen würde, egal, was er anpackte. Zu seinem Pech waren seine Beziehungen die falschen und sein Charme so gut wie nicht vorhanden, und jetzt war er Ende fünfzig, und niemand scherte sich den Teufel darum, ob er oben schwamm oder unterging. Er würde von der Hand in den Mund leben müssen – vielleicht würde ihm ein Cousin ein Cottage vererben, das er vermieten könnte, vielleicht würde man sich seiner erinnern, wenn die letzte Tante ins Gras biss, und vielleicht konnten ihm seine Kinder regelmäßig eine kleine Summe zukommen lassen. Mehr hatte er nicht zu erwarten, und es fragte sich, ob Lucy ihm weiter die Stange halten würde. Das hing wohl stark davon ab, welche Alternativen sich boten. Das alles war uns beiden bewusst, als wir uns draußen linkisch die Hand schüttelten. »Komm uns mal wieder besuchen«, sagte er, wohl wissend, dass ich das nie tun würde.

    »Mach ich«, log ich verlegen.
    »Und lass nicht wieder so viel Zeit vergehen.« Damit drehte er sich um und kehrte zu seiner leeren Verkaufstheke mit der leeren Kasse zurück.
    Lucy folgte mir bis zum Auto. Ich blieb stehen. »Hast du die Hintergründe von Margarets Krankheit eigentlich aufklären können?« Sie sah mich verwirrt an. »Du hast doch gesagt, die Krankheit sei erblich, aber du seist ihr in deiner und Philips Familie nicht auf die Spur gekommen.«
    Sie erinnerte sich. »Genau. Natürlich habe ich die wildesten Vermutungen angestellt. Ich dachte schon, ich sollte Damians Krankheitsgeschichte durchforsten …«
    »Aber das hast du nicht getan.«
    »Nein. Ich war drauf und dran, diesen Vorschlag zu machen und Philip alles zu gestehen, und mir sank ganz schön der Mut, wie du dir denken kannst. Da kam plötzlich heraus,

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