Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
Vom Netzwerk:
widersprüchlich, doch das ist bei solchen Paaren nichts Ungewöhnliches. In einer Gesellschaftsschicht, in der eine Scheidung immer noch als Versagen empfunden wird, sind solche zwiespältigen Gefühle nicht selten. Noch heute gilt persönliches Unglück – jedenfalls das Reden darüber – in der Oberschicht als ungehörig, als Zumutung. Und so muss man in der Öffentlichkeit und selbst vor guten Freunden immer so tun, als liefe im Privatleben alles bestens. Philip nickte auf Lucys schroffe Frage. »Gwen schafft das schon. Seit über einer Stunde hat sich kein Kunde blicken lassen«, sagte er resigniert; der hoffnungslose Zustand seines Geschäfts hätte sich nicht schlichter beschreiben lassen. Hier hatte Philip nicht mehr die nötige Energie, um den Schein zu wahren. Er konnte gerade noch hinter der Ladentheke stehen, aber seine Schinderei zu beschönigen, wäre zu viel verlangt gewesen. Er holte sich einen Löffel und begann direkt aus dem Nudeltopf zu essen. »Lucy hat mir erzählt, du bist jetzt Schriftsteller? Was hast du denn geschrieben, was ich vielleicht gelesen habe?«
    Das war natürlich ein Versuch, sich selbst aufzuwerten, indem er mich und meine Tätigkeit abwertete, aber Gehässigkeit steckte wohl nicht dahinter. Er vermutete zu Recht, dass ich über ihn urteilte, und zeigte mir, dass auch er sich das Recht herausnahm, über mich zu
urteilen. So etwas kennt jeder aus meiner Generation, der sich entschieden hat, sein Brot mit der Kunst zu verdienen. In unserer Jugend hielten uns Eltern wie Freunde für vollkommen verrückt; aber solange wir uns mühsam durchschlugen, unterstützten uns unsere besonneneren Zeitgenossen gern mit Ermutigung, Mitgefühl und sogar der einen oder anderen Mahlzeit. Die Probleme begannen, sobald wir Künstler Erfolge hatten. Dass wir Geld verdienten oder schlimmer noch, mehr Geld verdienten als unsere vernünftigen Bekannten, grenzte für sie an Unverschämtheit. Sie hatten den langweiligen Weg einer sicheren Existenz gewählt. Wenn nun auch wir unsere Existenz gesichert und dabei sogar unseren Spaß gehabt hatten, war das schlichtweg unannehmbar und verdiente eine Strafe. Ich lächelte. »Nichts, glaube ich. Wenn du etwas von mir gelesen hättest, dann hättest du meinen Namen sicher wiedererkannt.«
    Er sah Lucy an und zog die Augenbrauen hoch, vermutlich ein humoristischer Wink, ich sei wohl einer dieser überempfindlichen Künstlertypen, die man mit Samthandschuhen anfassen müsse. »Lucy hat ein paar von deinen Sachen gelesen. Sie hält, glaube ich, ziemlich viel davon.«
    Ich wies ihn nicht daraufhin, dass sich mit dieser Bemerkung seine erste Frage erübrigte. »Das freut mich.« Nach diesen Worten breitete sich Schweigen aus, eine Weile saßen wir stumm da. In der Luft lag etwas Lähmendes. Das passiert oft, wenn sich alte Freunde nach vielen Jahren wiedersehen. Vorher denkt man, wunders wie ausgelassen und übersprudelnd alle sein werden, aber meist fehlt solchen Treffen der Glanz, man ist älter geworden und hat kaum noch etwas gemeinsam. Die Rawnsley-Prices hatten – mehr schlecht als recht – ihren Weg zurückgelegt, ich den meinen, und jetzt waren wir nur noch drei Leute in einer sehr schmutzigen Küche, einander fremd.
    Bevor ich meine Mission als erledigt betrachten könnte, brauchte ich noch weitere Informationen, an die ich nicht herankäme, solange Philip bei uns war. Zeit also, die Gruppe zu sprengen. »Darf ich mir den Laden ansehen?«, fragte ich. Das nun folgende Zögern enthielt viel Unausgesprochenes. Philips Bedürfnis vermutlich, sich als genauso erfolgreich darzustellen, wie ich es war, was selbst bei der
Bescheidenheit meiner Karriere schwierig würde, wenn ich das Geschäft tatsächlich zu sehen bekäme. Vielleicht auch Lucys plötzliche Erkenntnis, dass ich von diesem Besuch nicht den Eindruck mitnehmen würde, bei den Rawnsley-Prices wäre alles in Butter. Im Grunde wollen wir doch alle in den Augen unserer Zeitgenossen gut dastehen, was Lucy nun versagt blieb.
    Aber schließlich nickte Philip. »Klar.«
    Es wird niemanden überraschen, dass der Bauernladen eine einzige Katastrophe war. Passenderweise war er in einem ehemaligen Viehstall untergebracht, in dessen Ausbau man deutlich zu wenig Zeit und Geld gesteckt hatte. Theke und Regale aus dem unvermeidlichen Kiefernholz verbreiteten einen bemüht fröhlichen Optimismus. Bunte Tafeln priesen in riesiger roter Schreibschrift das großartige Angebot an: Frisches Gemüse! , schrie es einem da

Weitere Kostenlose Bücher