Eine Krone für Alexander (German Edition)
wildromantische Schlucht mit ihrer üppigen Vegetation
war ein Ort, wie ihn die Nymphen liebten. Nur dass es im Moment dort mit
Sicherheit keine Nymphen gab. Dafür aber eine bis an die Zähne bewaffnete
Truppe des Thessalischen Bundes, die in aller Eile Stellung bezogen hatte. Das
Tal bot den schnellsten Zugang von Makedonien nach Thessalien, und jede Armee,
die weiter nach Süden vorrücken wollte, musste durch den Engpass.
Während die Armee in der weiten Küstenebene ihr Lager bezog,
war Alexander mit einer Abteilung Reiter aufgebrochen. Sie waren ins Tal hineingeritten,
bis die Straße sich verengte und die Stellung der Thessalier in Sichtweite kam.
Dort waren sie abgestiegen. Alexander war den glitschigen Abhang
hinaufgeklettert, um sich die Bescherung von oben anzusehen. Seine Eskorte war
ihm notgedrungen gefolgt.
Was sie von dort oben zu sehen bekamen, gefiel ihnen nicht.
Die Thessalier hatten eine doppelte Palisade errichtet und so die Straße, die
sich am Flussufer entlangschlängelte, gesperrt. Die Felswände stiegen an dieser
Stelle fast senkrecht nach oben, das Wasser des Flusses toste tief und reißend
zwischen ihnen hindurch. Soweit Alexander erkennen konnte, war die thessalische
Truppe nicht besonders stark, aber das musste sie auch nicht sein. Schon wenige
Bewaffnete konnten den Engpass problemlos gegen eine ganze Armee verteidigen.
Alexander lehnte sich wieder zurück und ließ den Busch los.
„Die Thessalier sind keinen Deut besser als die übrigen
Griechen“, ereiferte sich Philotas inzwischen weiter. „Verschanzen sich in
diesem Graben wie Maulwürfe.“
Er und Ptolemaios bedachten Medios mit einem unfreundlichen
Blick. Medios gehörte zu Alexanders weiterem Freundeskreis, seit er mit ihm in
Mieza gewesen war, doch er war nicht nur Grieche, sondern auch noch Thessalier.
Seine Familie, das Adelshaus der Aleuaden aus Larissa, war den makedonischen
Königen traditionell freundschaftlich verbunden. Aus allen diesen Gründen hatte
Alexander Medios früher am Tag zum Verhandeln zu seinen Landsleuten unten im
Tal geschickt. Nur leider ohne Erfolg.
Hephaistion zog Alexander am Arm. „Hast du genug gesehen?
Dann lass uns wieder runterklettern, bevor Philotas vor lauter Ärger ausrutscht
und den Abhang hinunterkollert, direkt den Thessaliern vor die Füße.“
Den größeren Teil des Weges rutschten sie mehr als zu klettern.
Unten angekommen, waren alle mit Schlamm verkrustet. Sie schüttelten sich Blätter
und Zweige aus den Haaren, stiegen auf ihre Pferde und ritten zurück. Sobald
der Weg wieder etwas breiter wurde, lenkte Philotas sein Pferd neben
Bukephalos.
„Ein schöner Schlamassel. Was nun?“
„Wir umgehen die Thessalier“, antwortete Alexander.
„Der Ossa zieht sich bis weit nach Süden, und im Norden ist
der Olymp. Wenn wir eines der beiden Massive umgehen wollen, wird uns das eine
Unmenge Zeit kosten, Zeit, die wir nicht …“
„Wir umgehen nicht die Berge, sondern nur die Stellung der
Thessalier.“
„Ach, und wie?“
„Wir steigen über den Ossa.“
Abrupt zog Philotas die Zügel an und warf einen erschrockenen
Blick nach oben, wo sich das Gebirgsmassiv türmte. „Mit der Armee? Da rüber?
Nie im Leben. Das schafft kein Pferd.“
„Weiter südlich ist das Gebirge weniger hoch und schroff als
hier am Flusstal. Es gibt sicher versteckte Pfade hindurch. Ich lasse mich doch
nicht von so einem blöden Berg und ein paar Thessaliern aufhalten!“ Alexander
stieß Bukephalos in die Weichen, um in halsbrecherischem Tempo den abschüssigen
Weg hinabzufegen.
Weiter unten holte Hephaistion ihn ein. „Philotas hat ausnahmsweise
einmal recht“, sagte er. „Selbst wenn es in diesen Bergen ein paar Ziegensteige
geben sollte: Für eine ganze Armee ist das nicht zu schaffen, ganz zu schweigen
von der Reiterei.“
„Wir finden einen Weg. Notfalls helfen wir ein bisschen
nach.“
„Was meinst du mit ‚nachhelfen‘?“, fragte Hephaistion alarmiert.
Am nächsten Tag begann die Armee mit der Übersteigung des
Ossa. In lang gestreckter Kolonne zogen Reiter und Fußtruppen durch das
Gebirge, kletterten im Zickzack steile Hänge hinauf und überquerten tiefe
Schluchten mit reißenden Wildbächen. Sie tasteten sich an schroff aufragenden
Felswänden entlang und versuchten, den Steinen und Felsbrocken auszuweichen,
die von den über ihnen Marschierenden losgetreten wurden und manchmal
haarscharf an ihren Köpfen vorbei nach unten polterten. Der Weg war eng und
beschwerlich, das
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