Eine Krone für Alexander (German Edition)
Athen
sein“, ließ sich Aischines mit seiner wohlklingenden, rhetorisch geschulten
Stimme vernehmen. „Er ist an der attisch-boiotischen Grenze umgekehrt.“ Unter
dem gepflegten Bart von Demosthenes’ prominentestem Gegenspieler glaubte
Alexander, ein zufriedenes Grinsen erkennen zu können.
Hypereides stand auf. „Wichtige persönliche Angelegenheiten
hinderten Demosthenes, uns weiter zu begleiten. Wie du vielleicht gehört hast,
wurde ihm vor Kurzem seine Tochter in der Blüte ihrer Jugend entrissen.“
„Ja, ich hörte davon“, erwiderte Alexander. „Soviel ich
weiß, hat dieser tragische Verlust Demosthenes allerdings nicht davon
abgehalten, sich in der Öffentlichkeit in Festkleidung zu zeigen. Befremdlicherweise
genau an dem Tag, an dem die Nachricht von der Ermordung meines Vaters in Athen
eintraf.“
Hypereides’ Ringe blitzten, als er seine Hände in einer
beschwichtigenden Geste ausbreitete. „Das hatte nichts mit dem Tod deines
geschätzten Vaters zu tun. Demosthenes wollte seine Trauer über den Verlust
seines einzigen Kindes nicht in der Öffentlichkeit zur Schau stellen. Du selbst
bist der Schüler eines berühmten Philosophen – sicher ist dir bekannt, dass es
ein Zeichen hoher staatsbürgerlicher und ethischer Gesinnung ist, auch die
schwersten Schicksalsschläge mit Gefasstheit und Würde zu tragen.“
„Ich verstehe“, sagte Alexander. „Sicherlich kannst du mir eine
ebenso überzeugende Erklärung geben, warum Demosthenes mich immerzu als ‚dummen
Jungen‘ und ‚unverschämten Bengel‘ bezeichnet.“
„Das war durchaus nicht abwertend gemeint“, versicherte
Hypereides. „Wie du sicher weißt, erhalten athenische Bürger ihre vollen
politischen Rechte erst mit dreißig Jahren. Demosthenes wollte nur zum Ausdruck
bringen, dass du für das verantwortungsvolle Amt, das dir durch den vorzeitigen
Tod deines Vaters auferlegt wurde, noch sehr jung bist.“
„Ich habe gehört, er hat mich sogar als Margites
bezeichnet.“
„Ein Missverständnis.“
Hypereides legte seine Stirn in Falten. Ihm war anzusehen,
dass er krampfhaft nach einer unverfänglichen Erklärung suchte, doch selbst für
einen mit allen Wassern gewaschenen Winkeladvokaten wie ihn war das ein Ding der
Unmöglichkeit. Dazu war der Vergleich mit Margites einfach zu krass. Alexander
empfand einen Anflug von Mitgefühl für Hypereides, der sich immerhin hergetraut
hatte und von seinem Mitstreiter so schnöde im Stich gelassen worden war. Von
seinem Besuch in Athen vor zwei Jahren hatte Alexander den Anwalt als zwar
kompromisslosen, zugleich aber charmanten und bis zu einem gewissen Grad sogar
aufrichtigen Gegner in Erinnerung.
„Das Thema ist ohnehin nicht von Belang“, erklärte er daher.
„Viel mehr interessiert mich, warum die Bürger Athens auf den Tod meines Vaters
mit öffentlichen Dankopfern reagierten. Sie schreckten nicht einmal davor
zurück, seinen Mörder mit einem goldenen Kranz zu ehren.“
Hypereides, der kurz aufgeatmet hatte, zuckte zusammen. Fast
wäre ihm seine strohfarbene Perücke vom Kopf gerutscht. Auch die anderen
Gesandten starrten betreten vor sich hin. Schließlich erhob sich wieder
Demades.
„Diese Geschmacklosigkeit war unverzeihlich“, sagte er ohne
jeden Versuch einer Beschönigung. „Ich entschuldige mich bei dir in aller Form,
auch im Namen meiner Mitgesandten“ – an dieser Stelle war zustimmendes Gemurmel
zu hören – „sowie aller meiner Mitbürger. Du bist noch jung, hast aber sicher bereits
Erfahrung im Umgang mit Menschen gesammelt. Nicht immer lassen sie sich von
Vernunft leiten, ganz zu schweigen von Anstand. Nach einer Phase der Verwirrung
hat sich beides in meiner Stadt wieder eingestellt.“
„Ich danke den Bürgern von Athen.“ Alexander lehnte sich in
seinem Sessel zurück. „Lasst uns nicht mehr über die Vergangenheit sprechen,
sondern über die Zukunft. Ich rufe alle griechischen Staaten auf, Delegierte zu
einer außerplanmäßigen Sitzung des Synhedrions nach Korinth zu entsenden. Dort
werden sie Gelegenheit erhalten, mich als Hegemon zu begrüßen und zugleich die
Einzelheiten des bevorstehenden panhellenischen Feldzugs gegen die Perser zu
klären. Ich bin überzeugt, ich kann dabei auf die Unterstützung Athens zählen.“
5
Wieder einmal summte Korinth vor Geschäftigkeit. Aus allen
Teilen Griechenlands waren Delegierte in die weltläufige Hafenstadt gekommen.
Jetzt, wo ein makedonisches Heer sozusagen in Sichtweite ihrer Haustüren
lagerte
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