Eine Krone für Alexander (German Edition)
für die Ordnung und Stabilität des Reiches erforderlich?“ Plötzlich
hatte Alexander das Gefühl, wieder in Mieza zu sein und einem Vortrag seines
alten Lehrers zu lauschen. „Nehmen wir einmal an, Alexander lässt Amyntas von
der Heeresversammlung verurteilen und hinrichten. Wie geht es dann weiter? Was
geschieht, wenn dem König – was alle Götter verhüten mögen! – etwas zustoßen
sollte …“
„Dem König wird nichts zustoßen“, erklärte Olympias
schneidend.
„Er ist im Begriff, in den Krieg zu ziehen ...“
„Er steht unter dem Schutz der Götter!“
„… er könnte einer anderen Verschwörung zum Opfer fallen,
einem Jagdunfall, einer Krankheit …“
„Meinem Sohn wird nichts dergleichen zustoßen! Er hat eine
große Bestimmung! Die Götter werden nicht zulassen, dass er stirbt, ehe er sie
erfüllt hat.“
„… was wird dann aus der Ruhe und Stabilität des Reiches?
Dann gibt es kein Mitglied des Königshauses mehr, das an Alexanders Stelle
treten könnte, denn wir sind uns einig, dass Arrhidaios auf keinen Fall dazu in
der Lage wäre.“
„Das sind wir allerdings!“, schrie Olympias.
„Thronwirren würden ausbrechen, das Land würde im Chaos
versinken, wie es schon mehr als einmal im Lauf seiner Geschichte der Fall war.
Alles, was Philipp aufgebaut hat, würde in sich zusammenbrechen …“
Antipatros meldete sich zu Wort. „Vielleicht hat Alexander
bis dahin einen Sohn.“
„Selbst wenn, wäre er die nächsten Jahre minderjährig und
könnte nicht regieren.“
„Andere könnten es für ihn.“
Olympias zischte: „Ich bin sicher, du bist mehr als bereit,
diese Aufgabe zu übernehmen.“
„Das wäre ich allerdings, und zwar zum Wohl des Staates“,
beteuerte Antipatros. „Aber um mich geht es nicht. Es gibt Männer im Land, die
weitläufig mit dem Königshaus verwandt sind. Einem von ihnen könnte es mit
Tatkraft und Entschlossenheit gelingen, sich als König durchzusetzen. Wie es
auch der alte Amyntas, Alexanders Großvater, tat, nachdem Archelaos’ Verwandte
sich gegenseitig umgebracht hatten.“
„Und wie der Zufall so spielt, wäre einer der
aussichtsreichsten Anwärter dein eigener Schwiegersohn!“, rief Olympias. „Die
Lynkesten hatten es schon immer auf den Thron der Argeaden abgesehen.“
„Mein Schwiegersohn Alexander, Sohn des A ё ropos,
ist seinem König treu ergeben!“
„Du hoffst, du kannst ihm den Thron verschaffen, sobald mein
Sohn tot ist, du willst …“
„Ich verbitte mir diese Unterstellungen! Meine Loyalität gegenüber
dem König, dem Königshaus und dem Reich …“
„… steht außer Zweifel“, stellte Alexander klar, ohne sich
umzudrehen. „Wir sollten uns auf unser eigentliches Problem konzentrieren.“
„Eine gute Idee“, stimmte Antipatros schwer atmend zu. Er
schien sich wieder Aristoteles zuzuwenden. „Ich will nicht behaupten, dass ich
deine Bedenken nicht nachvollziehen kann. Auch ich sehe die Gefahr, dass wieder
Thronwirren ausbrechen könnten, sollte der König unerwartet sterben. Ein Fall,
der allerdings völlig hypothetisch ist, wie ich anmerken möchte.“
„Das finde ich auch“, sagte Alexander. Er konnte inzwischen
gut nachvollziehen, warum Philipp immer so gereizt reagiert hatte, wenn die
Rede auf seinen Tod gekommen war. „Ich habe nicht vor, in nächster Zeit zu
sterben.“
Aristoteles war aufgestanden und zu Alexander ans Fenster
getreten. Er legte ihm die Hand auf den Arm.
„Amyntas könnte eine Gefahr für dich darstellen, das ist richtig.
Aber er könnte dir auch Rückhalt bieten – hast du daran einmal gedacht? In den
alten Zeiten war der König das Oberhaupt eines großen Clans. Die Männer aus dem
Haus der Argeaden standen hinter ihm, sie deckten seinen Rücken, im Krieg wie
im Frieden. Die erschreckenden Vorgänge in den letzten drei, vier Generationen
haben das in Vergessenheit geraten lassen. Amyntas ist, von Arrhidaios
abgesehen, dein einziger naher Verwandter. Die Entscheidung liegt bei dir:
Vertraust du ihm genug, um ein zwar nicht gänzlich abwegiges, aber doch
kalkulierbares Risiko einzugehen? Oder gehst du lieber auf Nummer sicher und
lässt ihn hinrichten, beraubst dich dadurch aber eines Mannes, der dir eine
Stütze sein könnte wie kein anderer?“
Alexander drehte sich um. Sein Blick fiel auf Olympias’ Gesicht.
Es war hart und abweisend, und wieder einmal wunderte er sich, wie verhärmt sie
aussah. Der Hass hatte sie gezeichnet, der Hass und die Blutschuld, die sie auf
sich
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