Eine Krone für Alexander (German Edition)
verfolgt er?“
Alexander sagte: „Amyntas war in offizieller Mission in
Oropos. Ich selbst habe ihn dorthin geschickt, nachdem die Thebaner sich
ergeben hatten. Jeder, der nach Oropos kommt, besucht auch das Amphiareion. Das
Heiligtum ist nicht nur eine Orakelstätte, sondern auch ein berühmtes Heilzentrum.“
„Na und?“, fragte Olympias spöttisch. „War Amyntas etwa
krank? Soweit ich weiß, erfreut er sich bester Gesundheit. Nein, er hat im
Amphiareion keine Kur gemacht, sondern das Traumorakel befragt. Und wer ein
Orakel konsultiert, hat eine Frage, die ihn beschäftigt.“ Sie beugte sich vor
und sah Alexander an. „Auch diesmal war Amyntas so unvorsichtig, seinen Besuch
von einer Inschrift dokumentieren zu lassen. Mein Agent hat sie mit eigenen
Augen gesehen. Und willst du wissen, welcher Name gleich unter seinem
eingemeißelt ist? Amyntas, Sohn des Antiochos!“
„Das ist unmöglich“, meinte Antipatros sofort. „Der Mann war
zur fraglichen Zeit in Asien, er kann nicht gleichzeitig in Oropos gewesen
sein.“
Olympias griff in die Falten ihres Gewandes. So schnell,
dass Alexanders Augen der Bewegung kaum folgen konnten, schleuderte sie eine Schriftrolle
auf den Tisch. „Eine eidesstattliche Erklärung des Rates der Stadt Oropos, dass
Amyntas und sein verräterischer Freund im Herbst dort waren. Während ihr hier
herumsitzt und euch fragt, ob ihr Amyntas vor der Heeresversammlung anklagen
dürft, habe ich etwas unternommen und unwiderlegbare Beweise beschafft.“
Alexander nahm die Rolle, öffnete sie und studierte den
Inhalt sorgfältig. Dann reichte er sie weiter an Antipatros, der sofort begann,
angestrengt Nase und Oberlippe zu kneten. Aristoteles verzichtete darauf, einen
Blick auf das Schriftstück zu werfen.
„Es könnte zeitlich hinkommen“, sagte er stattdessen. „Er
müsste Asien bald nach seiner Ankunft wieder verlassen haben. Vielleicht hat
Attalos ihn als Mittelsmann zu Demosthenes nach Athen geschickt. Als Amyntas in
Alexanders Auftrag nach Oropos kam, hat sein Freund dann die Gelegenheit
genutzt und Kontakt zu ihm aufgenommen.“
Alexander war aufgestanden und ans Fenster getreten. Er sah
hinaus auf den Innenhof, obwohl in der Schwärze der Nacht dort draußen absolut
nichts zu erkennen war.
„Zu den Persern ist er allerdings erst später übergelaufen“,
hörte er Aristoteles weiterreden. „Und es gibt keinen Beweis, dass er diese
Absicht zu dem bewussten Zeitpunkt bereits hatte oder dass Alexanders Cousin von
ihr wusste.“
„Richtig“, sagte Antipatros. „Aber in Oropos konnte er auf
Demosthenes als Verbündeten schon nicht mehr zählen, weil die Athener bereits
klein beigegeben hatten. Und auch Attalos’ Ende war absehbar. Es ist durchaus
denkbar, dass die beiden darüber gesprochen haben, stattdessen bei den Persern
Unterstützung zu suchen.“
„Da ist außerdem noch die Inschrift in Lebadeia.“ Die Stimme
von Olympias. „Sie beweist, dass Amyntas Ambitionen auf den Thron hat.“
„Allmählich ergibt das Bild einen Sinn.“ Wieder Antipatros.
„Für sich allein gesehen, ist nichts davon ein zwingender Beweis, aber alles
zusammen könnte die Heeresversammlung durchaus von Amyntas’ Schuld überzeugen.“
Ein Räuspern. Es klang nach Aristoteles. „Ich störe eure ungewohnte
Harmonie nur ungern, aber ich sehe nach wie vor nur Beweise dafür, dass eine
Verschwörung existiert. Nicht aber, dass Amyntas in sie verwickelt ist.“
„Das habe ich auch nicht behauptet“, erwiderte Antipatros.
„Nur dass es möglich wäre, die Heeresversammlung auf der Grundlage der vorliegenden
Beweise zu einem Schuldspruch zu bewegen.“
„Dass Amyntas möglicherweise unschuldig ist, spielt nicht zufällig
eine Rolle?“
„Das tut es doch nie, oder?“ Antipatros machte eine Pause,
und Alexander stellte sich vor, wie er zynisch lächelte. „Seien wir
realistisch: Es gibt viele Unzufriedene in Makedonien, die lieber Amyntas als
Alexander auf dem Thron sähen. Auch ohne eigenes Zutun würde Amyntas
automatisch im Zentrum jeder Verschwörung stehen. Alexander kann sich niemals sicher
fühlen. Amyntas ist eine ständige Gefahr für die Ordnung und Stabilität des Reiches.“
Einen Augenblick lang trat völlige Stille ein. Dann sagte
Aristoteles: „Na schön. Gehen wir für den Augenblick einmal davon aus, dass
ethische Aspekte in dieser Frage keine Rolle spielen. Betrachten wir das
Problem vom rein utilitaristischen Standpunkt aus: Inwieweit ist Amyntas’
Hinrichtung
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