Eine Krone für Alexander (German Edition)
über die Bootswand reichte. Die
Frau setzte es auf dem Boden ab und nahm es an die Hand. Alexander trat zur
Seite. Kynnana würdigte ihn keines Blickes, als sie an ihm vorbei in den
Schatten der Festung trat.
Drachensaat
1
Er hatte das Kind schon vor einiger Zeit bemerkt. Es spukte
hinter den Säulen herum, die den Innenhof umstanden, und huschte von einer zur
anderen. So hatte es sich immer näher heranpirscht. Er tat, als ob es ihm nicht
aufgefallen sei, und konzentrierte seine Aufmerksamkeit weiter auf die beiden
lebensgroßen, fast fertigen Bronzestatuen, die nebeneinander im Hof standen.
Die Lötstellen waren bereits abgeschliffen worden, doch die Details im Gesicht
und an den Haaren mussten noch poliert werden. Die eine Statue stellte ihn
selbst dar, die andere Hephaistion. Alexander war sehr zufrieden mit Lysippos’
Arbeit und lobte ihn dafür.
Alexander verabschiedete sich von dem Bildhauer und überquerte
das Peristyl. Zielsicher näherte er sich der Säule, hinter der sich das Kind versteckt
hielt. Es war so klein und schmal, dass es sich vollständig dahinter verbergen
konnte, doch um sehen zu können, hatte es den Kopf vorrecken müssen. Beim
Umdrehen hatte er gerade noch mitbekommen, wie er hastig zurückgezogen wurde.
„Du kannst rauskommen, Thessalonika. Ich weiß, dass du da
bist.“
Vorsichtig schob sich das Gesicht wieder um die Rundung der
Säule.
„Komm raus. Du hast doch keine Angst, oder?“
Zögernd kam der Rest des Kindes zum Vorschein. Das Mädchen,
es musste inzwischen schon sechs sein, trug einen lindgrünen Chiton mit bestickter
Borte und wegen der morgendlichen Kühle einen Umhang, der unter dem dünnen Hals
festgesteckt war. Das Haar war ordentlich zu einem Zopf geflochten. Die
Kinderfrau, die mit besorgtem Gesicht im Hintergrund wartete, kümmerte sich
offenbar gut.
Die Kleine kam schüchtern näher. Alexander setzte ein, wie
er hoffte, gewinnendes Lächeln auf. Das heißt, er wusste, dass es normalerweise
gewinnend wirkte, doch andererseits hatte Thessalonika fast ein ganzes Jahr im
Dunstkreis ihrer gemeinsamen Stiefmutter verbracht, und er nahm an, dass sie in
dieser Zeit nicht viel Gutes über ihn zu hören bekommen hatte. Nun war
Kleopatra tot, ebenso ihre kleine Tochter, und die Umstände ihres Todes waren
so schrecklich gewesen, dass er sich gar nicht vorzustellen wagte, was
Thessalonika über ihn dachte. Wahrscheinlich hielt sie ihn für ein Ungeheuer.
Jedenfalls tat das ihre Kinderfrau, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
„Der eine bist du“, sagte Thessalonika und zeigte auf die Statuen,
„und der andere ist dein Freund.“
„Du hast uns erkannt?“
„Natürlich. Die Statuen sehen euch ganz ähnlich.“
„Stimmt“, bestätigte er. „Lysippos ist ein großer Künstler.“
„Hat er auch die Statue von Papa gemacht?“
„Ja.“
„Was ist damit passiert?“
„Sie ist als Weihgeschenk im Tempel der Artemis in Ephesos
aufgestellt worden. Das ist eine große Ehre.“
„Für Artemis oder für Papa?“, fragte Thessalonika unbefangen.
„Für beide. Die Menschen ehren die Götter durch die Stiftung
von Weihgeschenken, aber natürlich ist es für einen Menschen eine große Ehre,
wenn sein Bild im Tempel einer Gottheit aufgestellt wird.“
Sie würde wahrscheinlich später einmal keine Schönheit werden,
dachte er nüchtern, dafür waren ihre Züge zu unscheinbar. Ihr Haar war braun
wie das ihrer Mutter, doch ohne den rötlichen Schimmer, der das ihre so
attraktiv gemacht hatte. Immerhin hatte Thessalonika ihre strahlend grünen
Augen geerbt. Alexander erinnerte sich gut an Nikesipolis und die kurze Zeit,
die sie im Palast verbracht hatte. Er war zwölf gewesen, als sein Vater sie
geheiratet hatte. Nachträglich war ihm klar geworden, dass er damals ein
kleines bisschen verliebt gewesen war. Kurz nach Thessalonikas Geburt war
Nikesipolis gestorben, er wusste noch, wie erleichtert er gewesen war, dass ihr
Kind kein Junge geworden war. Danach hatte sich niemand mehr um seine Halbschwester
gekümmert, bis Kleopatra auf der Bildfläche erschienen war und sie unter ihre
Fittiche genommen hatte. Jetzt war Kleopatra tot und Thessalonika wieder sich
selbst und ihrer Kinderfrau überlassen. Jemand müsste sich um sie kümmern, dachte er. Keine Kinderfrau. Eine Frau aus dem Königshaus, die ihr die Erziehung
gab, die einer Tochter und Schwester von Königen zukam.
Sie richtete ihre smaragdgrünen Augen auf ihn. „Ich dachte,
der Tempel in Ephesos ist
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