Eine Krone für Alexander (German Edition)
eine Gestalt sich von den anderen löste und ihm in den Weg trat.
„Willst du wirklich gehen ohne ein Wort des Abschieds?“,
fragte Olympias.
„Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“
„Für jeden hast du eine gutes Wort, sogar für Nikesipolis’
Bastard, nur nicht für deine eigene Mutter.“
Alexander gab seiner Eskorte ein Zeichen, weiterzugehen und
das Tor zu passieren. „Thessalonika ist kein Bastard, sie ist meine Schwester.
Meine einzige verbliebene Schwester. Kleopatra ist fort, Europa tot, und
Kynnana spricht nicht mehr mit mir. Das alles ist dein Werk.“
„Kleopatra ist …“
„Nicht einmal deine eigene Tochter erträgt deine Nähe“,
schnitt er ihr das Wort ab. „Du bist schuld an Amyntas’ Tod.“
Ihre Lippen wurden schmal, und einen Augenblick lang glaubte
er, sie werde widersprechen, doch dann sank ihre Haltung in sich zusammen. „Du
hast recht, ich wollte seinen Tod. Aber nur weil ich glaubte …“
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ließ sie
stehen. Er schritt durch das Tor. Bukephalos wartete auf dem Vorplatz und
scharrte ungeduldig mit den Hufen. Alexander nahm dem Königsjungen den Zügel
aus der Hand und stieg auf. Hinter ihm klirrten Rüstungen und Zaumzeug,
wieherten Pferde, stampften Hufe auf dem Erdboden. Er sah sich nicht um, als er
losritt, doch er wusste, dass seine Mutter oben auf der Treppe stand und ihm
nachsah.
2
Die Armee hatte sich in Amphipolis gesammelt. Von dort marschierte
sie an Philippoi vorbei und überschritt den Nestos, der die Grenze zur Strategie
Thrakien bildete. Mit dem Erscheinen einer so starken Streitmacht hatten die
Aufständischen offenbar nicht gerechnet; sie waren nach Norden ausgewichen, zum
Haimos, wo die „freien Thraker“ zu ihnen stoßen wollten. Dort würde die
Entscheidung fallen, und so führte auch Alexander seine Streitmacht in das
dicht bewaldete Gebirge.
Unterwegs stieß Langaros mit seinen Stammeskriegern dazu.
„Dachtet ihr etwa, ich lasse euch den ganzen Ruhm allein
einheimsen?“, erklärte er mit breitem Grinsen. Da sein Vater kürzlich gestorben
war, war er inzwischen zum König der Agrianen avanciert. Er brachte tausend
seiner besten Krieger mit, die er stolz als Hypaspisten vorstellte.
„Hypaspisten?“, fragte Hephaistion, als das obligatorische
Begrüßungsritual mit Geschrei und Schulterklopfen vorüber war.
„Da staunt ihr, was?“ Langaros sah sich herausfordernd im
Kreis seiner alten Freunde um. „Ich habe auch meine Hypaspisten!“
Am zehnten Tag, nachdem sie in Amphipolis aufgebrochen
waren, näherten sie sich dem Kamm des Gebirges, dessen höchste Gipfel noch immer
von Schnee bedeckt waren. Unaufhaltsam wälzte sich die Marschkolonne durch enge
Schluchten, folgte reißenden Wasserläufen und stieg in Serpentinen an steilen Abhängen
empor.
Gegen Mittag meldeten die Kundschafter, dass der Pass von
einer starken thrakischen Streitmacht gesperrt war. Alexander ließ die Armee
haltmachen. Er selbst ritt selbst mit einigen Offizieren den steinigen Pfad
bergauf, bis die Stellung der Thraker in Sicht kam. Dort zügelte er Bukephalos
und blickte hinauf zum Pass. Der Bergsattel war auf ganzer Breite von Bewaffneten
besetzt; vor ihrer Front war eine Kette von Karren postiert. Als Alexander und
seine Begleiter sich näherten, sprangen die Thraker auf, fuchtelten mit ihren
Waffen und brachen in martialisches Gebrüll aus. Alexander kniff die Augen
zusammen. Wenn er genau hinsah, konnte er Stroh und Reisig auf den Karren
ausmachen.
„Sieht übel aus“, knurrte Philotas. Er hatte seit Kurzem die
Reiter aus Obermakedonien unter seinem Kommando. „Wenn unsere Leute zum Pass
hinaufsteigen, sind sie schutzlos Pfeilen und Wurfgeschossen von oben
ausgeliefert. Die Thraker sind dagegen hinter diesen Karren praktisch unangreifbar.
Und was ist, wenn sie auf die Idee kommen, die Dinger auf uns heruntersausen zu
lassen?“
„Das werden sie ganz bestimmt“, sagte Alexander. „Und vorher
zünden sie sie noch an.“
„Wie kommst du darauf?“
„Ich sehe Stroh und Reisig auf den Wagen.“
„Umso schlimmer“, meinte Philotas, der etwas kurzsichtig
war.
„Jedenfalls kommen wir hier nicht durch“, erklärte Koinos.
Alexander kannte den Offizier bereits von seinem Feldzug gegen die Maider; inzwischen
kommandierte er die Pezhetairen-Taxis aus Elimeia. „Wir müssen umkehren und
einen anderen Weg über das Gebirge suchen.“
Alexander zuckte mit den Achseln. „Dazu müssten wir weit
nach Osten ausweichen,
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