Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Krone für Alexander (German Edition)

Eine Krone für Alexander (German Edition)

Titel: Eine Krone für Alexander (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfriede Fuchs
Vom Netzwerk:
aufgeschichtet.
Halb geronnenes Blutes bildete eine Lache darauf und rann an den Seiten herab –
hier hatte vor Kurzem erst ein Opferritual stattgefunden. Amyntas führte
Alexander am Altar vorbei in den hinteren Teil der Anlage. Was sie dort zu
sehen bekam, drehte allen den Magen um.
    Auf dem Boden lagen, sorgfältig in drei Reihen ausgerichtet,
die Opfer, deren Blut auf dem Altarstein trocknete. Es waren drei schwarze
Widder und sechs kleine menschliche Gestalten. Entsetzt starrte Alexander auf
die Kinder, deren Körper blutbesudelt auf dem Boden lagen. Drei Jungen und drei
Mädchen. Allen war die Kehle durchschnitten worden. Die blassen Gesichter schienen
in dem spärlichen Licht, das durch die Bäume fiel, unnatürlich zu leuchten. Das
Blut hatte Fliegen angelockt, die sich brummend auf den Wundrändern
niederließen, in Schwärmen darüberkrochen und wieder aufstiegen, um an anderer
Stelle zu landen.
    „Menschenopfer!“, keuchte Ptolemaios entsetzt und presste
sich den Handrücken vor den Mund. Einer der Königsjungen rannte fluchtartig in
den Wald, der Farbe seines Gesichts nach zu urteilen, um sich dort zu
übergeben.
    Alexander beugte sich über eines der Kinder, ein Mädchen,
seiner Schätzung nach acht oder neun Jahre alt. Die weit geöffneten Augen waren
nach oben verdreht, die Lippen zerbissen, wohl vor Schmerz und Angst. Verfilzte
Haarsträhnen fielen in die noch im Tod gerunzelte Stirn. Die Kleine trug einen
Kittel aus grobem, ungefärbtem Stoff, sonst nichts, nicht einmal Sandalen. Man
hatte ihr wie den anderen Kindern die Kehle durchschnitten und sie dann auf dem
Altar ausbluten lassen, ehe man die kleinen Körper auf den Boden gelegt hatte.
Daher die Blässe der Gesichter.
    Alexander richtete sich wieder auf. Zu Amyntas gewandt, sagte
er leise: „Lass die Kinder vom Berg herunterbringen und unten beisetzen, mit
allen erforderlichen Riten, damit ihre verstörten Seelen ins Totenreich
gelangen können. Die Priester sollen den Altar reinigen und ihn dann neu
weihen. Immerhin ist es ein heiliger Ort.“
    Auf dem Weg nach unten redete niemand ein Wort.
    Erst beim Abendessen fanden sie ihre Sprache zurück.
    „Diese verdammten Barbaren!“, erregte sich Ptolemaios,
nachdem er den anderen Gästen den grauenhaften Fund in allen Einzelheiten
geschildert hatte. „Erbarmungswürdig, wie die Kleinen so dalagen, in Reihen ausgelegt
wie Jagdbeute.“
    Pleurias, der sich verpflichtet fühlte, seine Landsleute in
Schutz zu nehmen, erklärte umständlich, dass Menschenopfer bei den Illyrern
keineswegs an der Tagesordnung seien. Kleitos müsse verrückt geworden sein. Bedrückt
zupfte er an seinem Bart, der nach illyrischer Mode zu zwei dünnen Zöpfen
geflochten war. Pleurias war ein hartgesottener Stammeskrieger, doch der
Anblick oben auf dem Berg war auch ihm an die Nieren gegangen.
    „Trotzdem, so etwas Unmenschliches bringen nur Barbaren
fertig“, schimpfte Ptolemaios, dem im Augenblick nicht nach höflicher
Zurückhaltung zumute war. Er und die anderen ereiferten sich weiter über die
Grausamkeit der Illyrer, bis es Pleurias zu viel wurde.
    „Gibt es nicht auch bei den Griechen genügend Beispiele für
derartige Grausamkeiten? Wie war das denn mit dem Trojanischen Krieg, auf den
ihr immer so stolz seid? Euer Anführer schlachtete seine eigene Tochter auf dem
Altar, um den Segen der Götter zu erflehen. War ihr Name nicht Iphigenie?“
    Ptolemaios erwiderte: „Agamemnon hatte keine Wahl, Artemis
verlangte das Opfer von ihm. Er hatte die Göttin beleidigt, und zur Strafe
brachte sie den Wind zum Erliegen, sodass die Flotte nicht nach Troja auslaufen
konnte. Außerdem nahm Artemis das Opfer gar nicht an, sie rettete Iphigenie und
entrückte sie nach Tauris.“
    „Das ändert nichts daran, dass die Griechen bereit waren,
ein unschuldiges Mädchen zu opfern, nur damit sie in ihren ach so wichtigen
Krieg ziehen konnten.“
    „Das war ein Einzelfall.“
    „War es nicht“, mischte sich Harpalos ein. „Die alten Mythen
sind voll von Beispielen für Menschenopfer. In der Ilias steht zum Beispiel,
dass Achilleus zwölf trojanischen Kriegsgefangenen an Patroklos’ Scheiterhaufen
die Kehle durchschnitt. Nachdem die Griechen Troja eingenommen hatten, opferten
sie Polyxena, die jüngste Tochter von König Priamos, an Achilleus’ Grab. Und
Menoikeus rettete seine Heimatstadt, indem er sich von ihren Mauern stürzte.
Alles Hinweise, dass Menschenopfer in früherer Zeit bei den Griechen weit
verbreitet gewesen

Weitere Kostenlose Bücher