Eine Krone für Alexander (German Edition)
beim
Heiligtum des Iolaos. Alexander schickte Klearchos als Unterhändler los. Er sei
bereit, das Vorgefallene zu vergessen, und verlange lediglich die Auslieferung
der beiden Haupträdelsführer Phoinix und Prothytes. Klearchos blieb nicht lange
fort. Die Thebaner waren auf seine Vorschläge nicht nur nicht eingegangen,
sondern hatten im Gegenzug die Auslieferung von Antipatros und Philotas
gefordert.
Kleandros schüttelte traurig den Kopf. „Phoinix und die
anderen Unruhestifter hetzen ihre Mitbürger gegen uns auf, indem sie an Thebens
große Vergangenheit erinnern, an die Zeiten von Epameinondas und Pelopidas.
Wenn sie behaupten würden, der Himmel sei rot mit gelben Tupfen, dann würden
die Leute ihnen glauben. Anemoitas, Theogeiton und die anderen thebanischen
Politiker, die auf unserer Seite sind, kommen nicht dagegen an. Sobald sie nur
den Mund aufmachen, werden sie beschimpft und ausgebuht.“
Alexander, der sich noch über die freche Antwort ärgerte, fragte:
„Verstehen die Thebaner denn nicht, dass ihre Stadt dem Untergang geweiht ist,
wenn sie nicht nachgeben?“
„Ich fürchte, sie sind zu allem entschlossen. Sie haben
sogar ihre Sklaven freigelassen, sofern sie bereit sind, die Stadt mit der
Waffe in der Hand zu verteidigen. Waffen gibt es ja genug, dank Demosthenes’
großzügiger Spende.“
Vom Rand des Lagers waren plötzlich Geschrei und Trompetengeschmetter
zu hören. Alexander ließ Kleandros stehen und rannte aus dem Zelt, nur um zu
erfahren, dass die thebanische Reiterei einen Ausfall aus einem der nahe
gelegenen Tore unternommen und die makedonischen Vorposten angegriffen hatte.
Schnell schickte er Bogenschützen und Leichtbewaffnete aus, die die Angreifer
ohne größere Anstrengungen zur Stadt zurückdrängten. Während die Toten und
Verwundeten auf Bahren ins Lager getragen wurden, dämmerte es Alexander zum
ersten Mal, dass Kleandros mit seiner pessimistischen Einschätzung der Lage
womöglich recht behalten würde.
Am nächsten Tag ließ er das Lager abbrechen und das gesamte
Heer an der Stadtmauer entlangmarschieren, in voller Bewaffnung und in kampfbereiter
Formation, stets in Sichtweite der Stadtmauern, die dicht an dicht mit
Verteidigern besetzt waren. Alexander hoffte, dass der Anblick die Thebaner zum
Umdenken bewegen würde. Auf den Zinnen herrschte unterdessen eine unheimliche
Stille.
Sie marschierten halb um die Stadt herum, bis sie die
Südseite erreichten, die einzige Stelle, wo die Kadmeia nicht vom Stadtgebiet
umschlossen war und ihre Befestigung zugleich die Außenmauer der Stadt bildete.
Jetzt, wo die Festung von fremden Truppen besetzt war, lag hier die größte
Schwäche der Stadt. Deshalb hatten die Thebaner diesen Bereich in aller Eile
durch eine doppelte Palisade gesichert, die unmittelbar an die Stadtmauern
anschloss und sich im weitgestreckten Bogen vor der Kadmeia erstreckte. Sobald
die makedonische Armee in Sichtweite kam, brach die Besatzung, die ebenfalls
vollzählig auf den Festungsmauern angetreten war, in Jubel aus und begann, mit
ihren Waffen gegen die Schilde zu schlagen. Die thebanischen Verteidiger auf
den Palisaden davor verharrten dagegen weiter in Schweigen.
Ganz in der Nähe ließ Alexander ein neues Lager aufschlagen.
Den Rest des Tages verbrachte er damit, das Gelände zu erkunden, indem er an
den provisorischen Befestigungsanlagen entlangritt. Die Palisaden schlossen
auch das Heiligtum des Herakles ein – aus der Ferne konnte er die Ziegeldächer
und das Gebälk des Tempels erkennen. Drei Tore führten auf dieser Seite der
Stadt durch die Mauer ins Innere, aber unglücklicherweise keines direkt in die
Kadmeia. Das Südtor der Festung, das sogenannte Elektra-Tor, befand sich noch
innerhalb der Stadtbefestigungen und wurde mit Sicherheit von den Thebanern
blockiert. Oberhalb der Stadtmauer konnte Alexander die beiden konischen Türme
erkennen, die die Toranlage flankierten.
Alexander hatte den größten Teil des Palisadenbogens abgeritten
und näherte sich seinem westlichen Abschnitt. Von hier aus konnte er die
Schlucht sehen, die, durchflossen vom Dirke-Bach, die Kadmeia auf dieser Seite
vom Stadtgebiet trennte. In dieser Schlucht hatte einst der Drache gehaust, den
Kadmos getötet hatte, hier befand sich seine Höhle mit der Quelle des Baches,
hier war auch die Stelle, an der Menoikeus sich von der Mauer gestürzt hatte,
um durch sein Opfer seine Heimat vor dem feindlichen Ansturm zu retten.
Beim Abendessen erschien Aristandros, um mit
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