Eine Krone für Alexander (German Edition)
Alexander die
Vorzeichen zu besprechen. Flüchtlinge aus der Stadt hatten berichtetet, das
Wasser des Dirke-Baches sei am Morgen von blutigen Schlieren verunreinigt
gewesen, und auf den Götterstatuen auf dem Marktplatz hätten sich Tropfen von
Schweiß gebildet. Aus Onchestos war die Nachricht eingetroffen, dass die sumpfigen
Moräste des Kopais-See ein unheimliches Stöhnen von sich gaben.
„Unmissverständliche Hinweise auf das Verhängnis, das über
den Thebanern schwebt“, erläuterte Aristandros. „Die Götter haben die Stadt
verlassen. Im Tempel der Demeter hat eine Spinne vor dem Kultbild ein Netz
gewoben, es sieht aus, als ob die Göttin ihr Gesicht verhüllt.“
„Gestern sind wir in Onchestos aufgebrochen, und ich kann
mich nicht erinnern, in den Sümpfen dort etwas Ungewöhnliches gehört zu haben“,
bemerkte Harpalos aus dem Hintergrund.
„Dann hat des Stöhnen eben erst danach begonnen“, meinte
Ptolemaios und verdrehte die Augen. „Auf jeden Fall beweist es, dass die
boiotische Erde in Aufruhr ist.“
„Entweder das“, sagte Harpalos spöttisch, „oder im Morast
sind ein paar Blasen nach oben gestiegen und geräuschvoll zerplatzt, wie es in
Sümpfen eben so vorkommt. Und was die Omen in der Stadt betrifft: Vielleicht
sind sie von ein paar Einheimischen selbst fabriziert worden, die mit der
selbstmörderischen Politik ihrer neuen Regierung nicht einverstanden sind.“
„Egal“, winkte Alexander ab. „Entweder die Vorzeichen sind
echt, dann verheißen sie uns Erfolg. Oder sie beweisen, dass es in der Stadt
noch realistisch denkende Leute gibt. Vielleicht können sie ihre Mitbürger doch
noch zur Vernunft bringen.“
Am nächsten Morgen ließ Alexander die Belagerungsmaschinen
in Stellung bringen und seine Armee kampfbereit vor den Mauern aufmarschieren.
Dann sandte er zwei Herolde aus, die die Stadt in gegenläufigen Richtungen
umrunden sollten. Sie hatten Befehl, in regelmäßigen Abständen anzuhalten und
eine Botschaft zu den Verteidigern auf den Mauern hinüberzurufen. Sie lautete: „Alexander,
Sohn Philipps, König der Makedonen, Hegemon von Griechenland, bevollmächtigter
Stratege für den Feldzug gegen die Perser, an die Bürger von Theben: Jeder, der
Frieden wünscht und den Vertrag, den die Griechen mit meinem Vater, König
Philipp, geschlossen haben, achten will, möge herauskommen und sich uns anschließen.
König Alexander garantiert ihm Leben und Freiheit.“
Während die Herolde noch bei der Arbeit waren, stieg Alexander
auf Bukephalos, ritt zu den Palisaden vor der Kadmeia und wartete. Von seinem
Standort aus hatte er die Tore auf der Südseite gut im Blick. Doch keines davon
öffnete sich, niemand ließ sich sehen. Boten meldeten, dass es an den anderen
Toren auch nicht anders aussah.
„Ich habe nicht den Eindruck, als ob die Thebaner an deinem
Angebot interessiert sind“, meinte Kleitos, der Alexander mit seinen Reitern
eskortierte.
Kleandros erwiderte: „Vielleicht hindern die Fanatiker die
Vernünftigen mit Gewalt daran, die Stadt zu verlassen.“
Alexander, dem allmählich die Geduld mit den Thebanern
ausging, warf dem Diplomaten einen Blick von der Seite zu. „Du hast immer
behauptet, die Thebaner seien zum Äußersten entschlossen und wollten keinen Frieden.
Langsam glaube ich, du wirst recht behalten.“
Plötzlich tat sich etwas. Das Tor an der Südostecke, das
Alexanders Position am nächsten war, öffnete sich. Ein Mann, durch seine weiße
Kleidung und seinen Stab als Herold ausgewiesen, trat hervor und schritt die
Straße herunter. Alexander stieß Bukephalos die Fersen in die Weichen und ritt
erwartungsvoll näher.
„Das ist gefährlich“, meldete sich Kleitos besorgt, während
er seinen Reitern ein Zeichen gab, ihm zu folgen. „Du kommst zu nah an die
Mauer. Ein einziger gut gezielter Bogenschuss, und der Krieg ist für die
Thebaner vorbei.“
Der Herold blieb stehen und hob seinen Stab. Alexander zog
die Zügel an. Mit der weit tragenden Stimme, die für seinen Berufsstand
unverzichtbar war, rief der Herold:
„Die Bürger von Theben lassen verkünden: Jeder, der im
Bund mit ihnen und dem Großkönig die Griechen befreien und den Tyrannen aus dem
Norden vernichten will, möge sich uns anschließen!“
Alexander riss die Zügel herum und sprengte im Galopp zum
Lager zurück. Vor seinem Zelt sprang er vom Pferd und stürmte hinein. Eumenes,
der an seinem Schreibpult arbeitete, fuhr hoch. Alexander nahm seinen Helm ab
und schleuderte ihn in
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