Eine Krone für Alexander (German Edition)
Schulter
durchbohrt, aber die Lunge wurde nicht verletzt. Er hat gute Aussichten, völlig
wiederhergestellt zu werden, vorausgesetzt natürlich, er hält sich an die ärztlichen
Auflagen und verhält sich eine Zeit lang ruhig. Danach sieht es im Moment
allerdings nicht aus. Der Patient weigert sich, ruhig liegen zu bleiben, und versucht
dauernd aufzustehen, obwohl ich ihm das strengstens verboten habe. Außerdem
gibt er ständig Widerworte und weiß alles besser.“
„Jetzt nicht mehr. Ab sofort wird der Patient sich
kooperativ zeigen und allen ärztlichen Anweisungen peinlichst Folge leisten.
Stimmt’s, Perdikkas?“
„Stimmt“, bestätigte der Patient.
Alexander lächelte. „Und jetzt erzähl mir noch einmal genau,
was passiert ist.“
Der Rest des Tages gehörte den Toten. Die Leichen der
gefallenen Makedonen wurden verbrannt, die Thebaner erhielten ein Massengrab
außerhalb der Stadt, vor den Toren im Süden, wo die weitaus meisten von ihnen
gefallen waren. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass sie nicht weit
entfernt von der Stelle ihre letzte Ruhe fanden, wo Kadmos einst die
Drachenzähne in die Erde gesät hatte, aus denen ihre Vorfahren entsprossen. So
kehrten sie gewissermaßen in die Erde zurück, aus der sie gekommen waren.
Auf die Überlebenden wartete ein Schicksal, das nicht
unbedingt vorzuziehen war. Die wenigen Männer im kampffähigen Alter, die in
Gefangenschaft geraten waren, wurden zusammengetrieben und in Ketten gelegt.
Die Übrigen, Frauen, Kinder und alte Leute, blieben vorläufig in ihren Häusern
(oder dem, was davon übrig war). Die Stadttore wurden geschlossen und streng
bewacht, sodass niemand entkommen konnte. Theben war ein einziges riesiges
Gefangenenlager.
Die Athener hatten gerade die großen Mysterien zu Ehren der
Göttinnen Demeter und Persephone gefeiert, als die Nachricht vom Fall Thebens
sie erreichte. Sofort wurden die Festlichkeiten abgebrochen, wenig später
trafen die ersten thebanischen Flüchtlinge ein. Wieder einmal packte die
Landbevölkerung in Attika ihre Habe zusammen und strömte in die Stadt, die sich
auf eine Belagerung vorbereitete.
Die Gesandtschaft, die die Athener schließlich schickten,
war wie üblich zehn Köpfe stark. Als Amyntor die Männer ins Zelt führte,
erkannte Alexander die meisten von ihnen wieder, darunter Demades, Aischines
und Phokion, doch er sah weder Hypereides noch einen anderen von Demosthenes’
Helfershelfern. Stattdessen fiel ihm Xenokrates auf, der seines Wissens gar
nicht das athenische Bürgerrecht besaß. Offenbar hatte man jeden zusammengetrommelt,
dem man auch nur halbwegs gute Beziehungen zu den Siegern zutraute. Am
liebsten, dachte Alexander, hätte man auch den alten Isokrates aus seinem Grab
geholt, wenn das möglich gewesen wäre.
Nachdem die Gesandten Platz genommen hatten und Amyntor
jeden einzelnen namentlich vorgestellt hatte, erhob sich Demades und sprach
Alexander im Namen des Volkes von Athen seine Glückwünsche aus zu seiner
wohlbehaltenen Rückkehr aus dem Land der Thraker und Illyrer. „Ebenso
überbringe ich dir die Glückwünsche meiner Mitbürger zur Niederwerfung des thebanischen
Aufstands und zur Bestrafung der Schuldigen.“
Demades setzte sich wieder hin. Schweißtropfen glitzerten
auf seiner Stirn, und er atmete schwer, als habe er soeben einen Stadionlauf in
voller Rüstung absolviert. Wieder einmal hatten seine Mitbürger ihm die
Dreckarbeit aufgehalst. Demades war ein abgebrühter und mit allen Wassern gewaschener
Demagoge, doch ein derartiges Maß an Unverfrorenheit machte offenbar selbst ihm
zu schaffen.
Alexanders Blick wanderte von einem Gesandten zum nächsten.
Ihre Gesichter spiegelten die unterschiedlichsten Ausprägungen peinlicher Berührtheit
wider. Besonders Phokion fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Aischines
wirkte dagegen professionell und gefasst, Xenokrates philosophisch und gefasst.
„Ich danke den Bürgern von Athen für ihre Anteilnahme an
meinem Wohlergehen, ebenso für die Glückwünsche zur Niederwerfung der
thebanischen Rebellion“, erklärte Alexander. Dann machte er einen Einschnitt,
ehe er in schärferem Tonfall fortfuhr: „Allerdings würde mir ihre Gratulation
glaubwürdiger erscheinen, hätten die Athener nicht Anstalten gemacht, sich an
dem Aufstand zu beteiligen.“
Sofort sprang ein anderer Gesandter auf, den Amyntor zuvor
als Moirokles vorgestellt hatte. Der Name war Alexander sofort bekannt vorgekommen,
aber ihm wollte einfach nicht
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