Eine Krone für Alexander (German Edition)
Theben alles getan hatten, um den
Aufstand zu verhindern, hatten auch sie ihre Heimat mit der Waffe in der Hand
verteidigt, wie es ihre Bürgerpflicht gewesen war. Sie waren über und über mit
Blut bespritzt.
Alexander, auf seinem Stuhl sitzend, blickte zu ihnen auf.
„Euch und euren Familien wird nichts geschehen. Ich weiß, ihr habt getan, was
ihr konntet, um dies hier zu verhindern. Es ist nicht eure Schuld, dass eure
Mitbürger nicht auf euch hören wollten.“
„Das ist nicht der Grund, warum wir hier sind“, erwiderte
Theogeiton. Er hatte eine Verwundung am Oberarm, sein Verband war
blutdurchtränkt. „In der Stadt findet ein Blutbad statt. Die Straßen sind voll
von Toten.“
Alexander fuhr sich mit den Händen durch das schweißverklebte
Haar. Auch er trug noch immer seine blutbespritzte Rüstung. „So ist das, wenn
eine Stadt genommen wird.“
„Die Stadt ist längst gefallen“, erklärte Anemoitas, der
einen klaffenden Schnitt quer über den Wangenknochen hatte. „Jeder, der eine
Waffe halten kann, ist entweder tot oder geflohen. Was jetzt noch stattfindet,
ist nur ein sinnloses Gemetzel.“
Arybbas, der sich für alle Fälle mit gezogenem Schwert zwischen
Alexander und den beiden Thebanern aufgebaut hatte, zuckte die Achseln. „Seit
der Eroberung Trojas ist jede mit Waffengewalt eingenommene Stadt geplündert
worden. Die Soldaten betrachten das als ihr gutes Recht.“
„Das hier ist etwas anderes“, sagte Theogeiton zu ihm. Er
wandte sich wieder an Alexander. „Du hast keine Vorstellung von dem, was
draußen vor sich geht. Das ist nicht das übliche Plündern, das ist ein
Gemetzel, wie es Griechenland noch nicht gesehen hat. Sie machen jeden nieder,
den sie finden. Sie dringen in die Häuser ein und schlachten die Menschen ab,
Frauen, Kinder, Alte – sie verschonen niemanden.“
Kleandros trat vor. Sein Gesicht war aschfahl, beschwörend
hob er die Hände. „Es stimmt, ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Frauen
werden auf offener Straße vergewaltigt, Kinder aus den Armen ihrer Mütter
gerissen, junge Mädchen davongezerrt, während sie nach ihren Eltern schreien.
Die Illyrer und Thraker in unserer Armee wüten hemmungslos, aber am schlimmsten
sind die Phoker, Plataier und die anderen boiotischen Verbündeten. Sie zerren
die Menschen sogar aus den Tempeln, in die sie sich geflüchtet haben.“
Alexander stand auf. „Arybbas, lass Befehl geben, dass die
Plünderungen sofort einzustellen sind. Alle Einheiten ziehen sich aus der Stadt
zurück. Den Einwohnern wird nichts geschehen, bis das Synhedrion der
Bundesgenossen über ihr Schicksal entschieden hat.“
Die Stimmung an diesem Abend war seltsam: Ausgelassen, fast
schon überdreht, und doch war überall ein unterschwelliges Gefühl der Bedrückung
zu spüren. So war es immer nach einem schweren Kampf: Die Soldaten prahlten mit
ihren Heldentaten, froh, davongekommen zu sein, und zugleich fest entschlossen,
den Abend ihres Triumphes zu genießen. Keiner verschwendete einen Gedanken an
das Schicksal der eroberten Stadt und ihrer Menschen. Und doch steckte ihnen
allen die Anspannung des Tages in den Gliedern, ebenso die Furcht vor dem Tod,
der Verlust von Kameraden und Freunden. Und auch – obwohl sie alle
hartgesottene Krieger waren – das Grauen, das sie mitangesehen hatten. Das
Gelächter war zu laut, die Begrüßungen waren zu überschwänglich, die
Trinksprüche übertrieben fröhlich.
Alexander hatte die höheren Offiziere zum Symposion geladen.
Er befand sich auf dem Weg zum Festzelt, als ihm eine Menschenmenge den Weg
versperrte. Die Leute hatten einen Kreis gebildet und verfolgten, was in seinem
Inneren vor sich ging. Gelächter und anfeuernde Rufe waren zu hören. Die Leibwächter
bahnten einen Weg durch die Menge, und als sie den König erkannte, machte sie
Platz und verstummte.
Vor dem Eingang des Festzeltes standen vier oder fünf
Soldaten, Thraker offenbar. Sie schubsten eine Frau herum, die mit Ketten
gefesselt war. Drei kleine Kinder standen mit verstörten Gesichtern dabei. „Gib’s
ihr!“, brüllte jemand, und ein anderer: „Macht sie fertig!“
Einer der Thraker versetzte der Frau einen Stoß. Sie
taumelte vorwärts und stürzte zu Boden. Das kleinste der drei Kinder begann zu
weinen, das größte, ein etwa zehnjähriges Mädchen, riss sich von seinem
Bewacher los und rannte zu seiner Mutter. „Nicht! Lasst sie in Ruhe!“
Der Thraker zerrte das Kind zurück. Es wehrte sich und
zappelte, dann biss es ihn
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